Melodien aus dem All

Luke Slater

  • Michael Saager
  • Lesedauer: 2 Min.

Melodien und Techno? Können die sich überhaupt leiden? Kommt drauf an. Sehr frühe Detroit-Techno-Tracks wie »Strings of Life« von Derrick May etwa tragen ihren herzerwärmend-melodischen Überschuss bereits im Namen. Bei Mays Kollegen Jeff Mills indes kommt man nicht unbedingt drauf, dass es sich bei der charakteristisch angeordneten Folge verschiedener Bleep-Töne um Melodien handeln könnte. Natürlich sind es trotzdem welche, nur nicht im emphatisch-süffigen Pop-Sinn.

Bisweilen reicht im Techno auch der Rhythmus: der schwere Beat der Kickdrum, darunter bassiges Gewummer, darüber mehr oder weniger vertrackte Percussion. In Großbritannien gab es in den 1990ern mit Surgeon, James Ruskin, Regis und Luke Slater gleich paar Künstler, die diese Sorte rohen Maschinentechnos raffiniert klingen ließen.

Bis heute überaus umtriebig ist Luke Slater mit seinem in Kennerkreisen hochgeschätzten und besonders im Berliner Club Berghain häufig gehörten Techno-Projekt Planetary Assault Systems. Im Berghain fand Slater nach längerer künstlerischer Durststrecke eine neue Heimat. Was auch daran liegt, dass Berghain-Techno ohne stilprägende Künstler wie Jeff Mills, Robert Hood, Surgeon und Luke Slater nicht wäre, was es ist.

Dass der 1968 im britischen Reading geborene Slater seinen zweiten musikalischen Frühling als Produzent auf dem Berghain-Plattenlabel Ostgut Ton erlebt, ist daher so schön wie folgerichtig. Und ja, Slaters jüngste Platte »Arc Angel« ist nicht nur seine in sich stimmigste und soundtechnisch rundeste, es ist auch seine bislang außerirdischste Arbeit auf Ostgut Ton.

Womit wir bei den Melodien im Sinne einer - zumindest theoretisch - singbaren Folge von eher fremdartigen Tönen und vielschichtigen Tonüberlagerungen wären. Die in zeitgemäß schwere und wuchtig federnde Beats und Bässe gebettete Soundlandschaft scheint unendlich weit und elliptisch geschlossen zugleich; sie pulst und flirrt, zirpt und bleept nachgerade außerweltlich und nichtmenschlich. Sie ist nicht düster, sie ist nicht traurig, sie weitet den Gedankenhorizont wie ein interessanter Trip.

Klar, die Idiome und Bilder, derer sich »Arc Angel« bedient und die es triggert, sind wohlbekannt: aus Sci-Fi-Filmen, von Jeff Mills und Robert Hood, aus dem Berghain. »Arc Angel« ist so gesehen satt und nuanciert, also modern abgemischter Techno-Techno der alten Schule und damit gewissermaßen das Gegenteil eines derzeit von vielen gelangweilten Techno-Protagonisten herbeigesehnten Paradigmenwechsels. Vor allem aber dieses Album: majestätisch erhaben, von großer Komplexität und tief in sich ruhender Kraft. Wer solche Platten macht, muss sich um die Zukunft kaum scheren. Erst recht nicht um anmutig geföhnte Melodien. Die gibt’s im Pop.

Planetary Assault Systems: »Arc Angel« (Ostgut Ton)

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