Spiele niemals Schach mit einer Taube!
Der Kabarettist Till Reiners hat besorgten Bürgern zugehört – und ein Buch über diese Begegnungen geschrieben
Salbungsvoll spricht der Versammlungsleiter in sein Mikrofon. Wahrscheinlich fühlt er sich als Teil einer historischen, bahnbrechenden, revolutionären Erhebung der Massen. Dabei stehen in Leipzig nicht einmal 500 Menschen in der Kälte herum. Als der sich »Nikos« nennende Legida-Redner in erhabenem Tonfall die angeblich 200 weiteren Ableger der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung in vielen Käffern (von denen allein vier Stadtteile von Dresden sind) aufzählt, muss Till Reiners sich anstrengen, den sich ankündigenden Lachkrampf zu unterdrücken. Denn er ist nicht nur ein Linker, der sich das Spektakel einmal ansehen will. Nein, seine Brötchen verdient der 31-Jährige mit Pointen. Der Kabarettist in ihm »fühlt sich, als würde die ganze Zeit jemand mit einem großen Lolli« vor seiner Nase wedeln.
So beschreibt er es in seinem Buch »Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen«, in dem er seine »Begegnungen mit besorgten Bürgern« verarbeitet hat. Die größte Stärke des Werkes lässt sich schon im Titel erkennen: Reiners setzt das viel zitierte und viel verulkte Attribut des Besorgtseins nicht in Anführungszeichen. Er glaubt den meisten, dass sie sich ängstigen - und widersteht der süßen Versuchung, sich über die politisch völlig Verirrten unter den von beinharten Rassisten aufgewiegelten Leuten auf knapp 300 Seiten genüsslich lustig zu machen.
Anstatt Amüsement empfindet er »fast Mitleid, wenn der zwanzigste Reporter auf einer Pegida-Veranstaltung Verarschungsfragen stellt«. Er will versuchen, den Hass zu verstehen. Ausführlich kommen bei ihm AfD-Sympathisanten zu Wort. Von der prekären Arzthelferin aus Polen über den abgesicherten Versicherungsmakler aus Berlin-Schöneberg bis zum gestriegelten Juristen aus Freiburg verzweifelt Reiners an dem Umstand, dass er mit Statistiken und Fakten kläglich bei diesen ausschließlich über Gefühle argumentierenden Menschen scheitert.
Die Befürchtungen, Argumente und Forderungen wiederholen sich, so dass sich Reiners mit Vertretern aus AfD und CDU trifft, um herauszubekommen, ob die Überzeugenderes zu bieten haben. Seine wenig überraschende Schlussfolgerung: Das haben sie nicht. Sein Weg dahin aber ist gepflastert mit erhellenden Eindrücken.
Spätestens nach einem Gespräch mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), die im Wahlkampf nicht auf einem Podium mit der AfD auftreten wollte, dämmert Reiners: Diskussionen mit hochrangigen AfD-Politikern sind wegen deren Resistenz gegen Fakten sinnlos. Er findet dafür eine schöne Analogie: »Spiele nie mit einer Taube Schach. Egal, wie gut du spielst, die Taube wird alle Figuren umwerfen, auf das Brett kacken und herumstolzieren, als hätte sie gewonnen.«
Stilistisch nimmt Reiners’ Reisebericht über die rechte Republik bisweilen Züge eines Off-Kommentars im Fernsehen oder Radio an, für die der Autor regelmäßig arbeitet. Dadurch gelingt es ihm, ein anschauliches Bild zu zeichnen von dieser diffusen Menge. Und er legt das Versagen der etablierten Politik offen. Es seien zwei Wahrnehmungen entstanden: Linke sagen, die Gesellschaft sei nach rechts gerückt und Rechte sprechen gern vom »links-versifften 68er-Deutschland«. Und, so Reiners: »Beide haben recht.« Die Spaltung in Arm und Reich sei größer und die Gesellschaft liberaler geworden. Das Problem bestehe darin, dass sich Abstiegsbedrohte nicht gegen die Verarmung wenden, sondern gegen die gewonnenen Freiheiten: »In gewisser Weise verordnet die AfD der Demokratie Nachsitzen: Sie muss noch mal erklären, was Demokratie bedeutet und warum Fremdenfeindlichkeit ein sehr schlechtes Hobby ist.«
Till Reiners: Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. Begegnungen mit besorgten Bürgern. Rowohlt. 272 S., br., 9,99 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.