Für Ramelow ist noch keine Zeit zu gehen

Entgegen aller skeptischer Meinungen hält Rot-Rot-Grün in Thüringen

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Kernbotschaft ist eigentlich ziemlich schlicht: Sie stehen noch immer gemeinsam da. In der Mitte der LINKE Bodo Ramelow. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, hellblaue Krawatte. Rechts neben ihm die Grüne Anja Siegesmund. Ockerfarbener Blazer, schwarzes Oberteil. Links neben Ramelow die Sozialdemokratin Heike Taubert. Zartroter Blazer, weiße Bluse. Vor zwei Jahren noch hatten viele Menschen nicht nur im Freistaat, sondern in ganz Deutschland dagegen gewettet, dass dieser Moment kommen würde, der sich am Dienstag in Erfurt, in einem Saal der Staatskanzlei zugetragen hat. Weil er dafür steht, dass das erste rot-rot-grüne Regierungsbündnis Deutschlands noch immer lebt.

Selbst der Oppositionsführer im Thüringer Landtag, Mike Mohring, trägt schon seit Monaten nicht mehr die Vorstellung ins Land, die Koalition aus LINKE, SPD und Grünen werde bald zerbrechen. Der Weg seiner CDU zurück an die Macht, sagt Mohring stattdessen nun, sei kein Kurzstreckenlauf. Sondern ein Marathon. Einer, der erst im Jahr 2019 enden werde. Dann wird in Thüringen turnusgemäß das nächste Mal ein Landtag gewählt. Das wird der ultimative Test für Rot-Rot-Grün in Thüringen werden, ob die Politik des Bündnisses bei den Menschen auch wirklich auf Zustimmung stößt, für die Ramelow, Siegesmund und Taubert Politik zu machen glauben.

Dafür, dass Rot-Rot-Grün in Thüringen noch immer und das auch weitgehend geräuschlos regiert, hängt viel mit zwei der Lieblingsworte zusammen, die Spitzenvertreter des Bündnisses so haben - und die bei dieser Pressekonferenz vor allem Ramelow wieder und wieder und wieder benutzt: Prozess und Diskussion. Im rot-rot-grünen Alltag werden beide Worte auch gerne ergänzt um Begriffe wie Dialog, Sprechen und Kommunizieren. Den anstehenden Personalabbau im Freistaat beispielsweise begreifen Ramelow und die seinen ebenso als einen Prozess, über den ganz viel gesprochen, dialogisiert, diskutiert und kommuniziert werden muss wie die Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform, die Einstellung von Lehrern und Polizisten oder die Errichtung eines Nationalen Naturmonuments am Grünen Band. Sowohl bündnisintern wie auch nach außen ist Rot-Rot-Grün deshalb ein Bündnis der Worte - und bisweilen Worthülsen -, die LINKE, Sozialdemokraten und Grüne mit allen wechseln wollen, die zu welchem Politikfeld auch immer was auch immer zu sagen haben.

Damit ist die Koalition in den vergangenen zwei Jahren durchaus nicht unerfolgreich gewesen. Tatsächlich sind unter diesem vor zwei Jahren so neu und revolutionär erscheinenden Bündnis unter anderem 500 neue Lehrer pro Jahr eingestellt worden - nachdem unter CDU-Führung im Thüringer Bildungsbereich über Jahre nur Stellen eingespart worden waren. Ähnliches gilt für den Sicherheitsbereich, wo Thüringens sozialdemokratischer Innenminister Holger Poppenhäger die Einstellung von mehr Polizeianwärtern durchgesetzt hat als ursprünglich vorgesehen waren. Zudem setzt das Bündnis eine pragmatische Flüchtlingspolitik mit humanem Antlitz um, die zum Verdruss von Flüchtlingsaktivisten zwar auch nicht ohne Abschiebungen auskommt. Aber die eben doch auch eine Beratungsstelle fördert, die abgelehnten Asylbewerbern erklärt, welche Möglichkeiten sie über eine freiwillige Ausreise aus Deutschland haben, um einer Abschiebung zuvorzukommen. Auch hier: Reden und Worte vor Zwang.

Die Kehrseite dieses Redens, Redens und Redens. Das braucht viel Zeit. Sehr viel Zeit, weshalb auch LINKE, SPD und Grüne bislang bestenfalls ein kleines bisschen damit begonnen haben, den strukturellen Reformstau im Freistaat abzuarbeiten, der sich in den vergangenen Jahren angesammelt hat. Wofür es gleichsam fatal ist, dass das Bündnis sich bei dem schon vor Jahren beschlossenen, aber bislang nicht mal halbherzig umgesetzten Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst in Thüringen gerade noch mehr Zeit gönnen will als bislang veranschlagt: Statt tausende dieser Stellen bis 2020 zu streichen, gibt es nun Überlegungen innerhalb der Koalition, dass es doch auch reichen könnte, wenn man diese Stellen bis 2025 streichen würde. Diese Verschiebetaktik hatte schon die CDU beherrscht.

Und dieses Reden, Reden, Reden ist außerdem kein Garant dafür, dass sich letztendlich einvernehmliche Lösungen finden lassen, wie Ramelow am Beispiel der Gebietsreform mehr oder weniger unfreiwillig eingesteht, während er von Siegesmund - Thüringer Umweltministerin - und Taubert - Thüringer Finanzministerin - in dem Saal stehend eingerahmt wird. »Meine Oma hat immer gesagt: Allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die keiner kann«, sagt Ramelow, als er sich mal wieder darüber auslässt, dass aus seiner Sicht die rot-rot-grünen Dialogangebote zur Gebietsreform an die Landräte mit Verfassungsklagen beantwortet würden. »Diskussion heißt aber diskutieren. Ich erlebe nur Verweigerung.«

Die große Revolution, die sowohl die glühenden Befürworter des Bündnisses wie auch dessen ärgste Widersacher bei der rot-rot-grünen Regierungsübernahme im Dezember 2014 erwartet hatten, ist also alles in Allem ausgeblieben. Was wohl auch dazu beigetragen hat, dass Ramelow, Siegesmund und Taubert nun noch immer zusammen in der Staatskanzlei stehen können. Revolutionen immerhin fressen bisweilen ihre Kinder.

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