Abschottungspolitik der EU vergrämt die Senegalesen

Frankreich und Europa haben die gemeinsame Geschichte mit Afrika vergessen und verweigern intelligente Migrationspolitik

  • Odile Jolys, Dakar
  • Lesedauer: 4 Min.

Senegal gilt als wichtiges Herkunfts- und Transitland für illegale Migranten. Das westafrikanische Land hat 2016 denn auch 74 Millionen Euro aus dem Nothilfe-Treuhandfonds der EU zur Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration in Afrika erhalten. Eine vergleichbare Summe soll bald folgen, hört man aus EU-Kreisen.

Mit EU-Hilfe wurde am 29. November dieses Jahres ein neuer Grenzposten zwischen Mauretanien und Senegal eröffnet. Neben der verbesserten Kontrolle der Grenze finanziert die EU auch Maßnahmen für die »Bekämpfung der tieferliegenden Ursachen der illegalen Migration«, soll heißen Arbeitsplatzschaffung. Das ganze Geld aus der EU soll die Regierung motivieren, bei der Festsetzung und Verschiebung der illegalen Migranten in und nach Afrika mitzuhelfen.

Migrationsabwehr ist heute zur dringendsten Angelegenheit der EU, ihrer Mitgliedsstaaten und Entwicklungsagenturen, in Afrika geworden. Der Soziologe und Migrationsexperte Aly Tandian der Universität Saint-Louis in Senegal schüttelt angesichts dessen den Kopf: »Die schrecklichen Bilder von Ertrinkenden in den Medien werden nichts ändern. Die Migration ist bei vielen Gruppen der senegalesischen Bevölkerung Teil der Kultur und sie hat eine lange Geschichte.« Auch zeigen die Medien mit ihren Berichten nicht das ganze Bild: »Aus Senegal, das die größte Gruppe unter den westafrikanischen Migranten stellt, kommt die Mehrheit mit dem Flugzeug und einem gültigen Visum nach Europa«, so Tandian. Manchmal sind die Visa auch »gekauft«, das vergessen die europäischen Konsulate gern.

Aly Tandian spricht von seinem Vater, heute über 90 Jahre alt, ehemaliger Soldat der französischen Armee in der Kolonialzeit, der immer noch französisches Radio und Fernsehen verfolgt: »Bei jedem Fußballspiel der französischen Nationalmannschaft steht er auf und singt die Marseillaise - die französische Nationalhymne.«

Aber Frankreich und Europa haben die gemeinsame Geschichte mit Afrika vergessen. Die Kinder und Enkelkinder in Afrika nicht. Für sie ist es eine schmerzende Demütigung so von Europa abgeschottet zu werden, dessen Symbole, von den Fußballklubs bis zu den Modemarken, in ihrem Alltag präsent sind.

Die Abschottungspolitik der EU hat auch negative Folgen für die Integrationsbemühungen innerhalb Westafrikas, ein wichtiger Faktor des wirtschaftlichen Wachstums. »In unserer Regionalorganisation herrscht eigentlich Freizügigkeit. Nun sitzen auf Druck der EU zum Beispiel Senegalesen in Niger im Gefängnis. Sie werden kriminalisiert, obwohl sie das Recht haben, sich dort aufzuhalten«, bedauert Tandian. Niger gilt als Transitland für die Migration aus ganz Afrika auf dem Weg nach Libyen und von dort nach Europa. Das Land bekommt deshalb viel Geld von der EU.

Was die Wirkung der Entwicklungsgelder »für die Bekämpfung der Migrationsursachen« angeht, erinnert Tandian an den Afrika-Plan der spanischen Regierung. 20 Millionen Euro hatte Spanien in den Jahren 2006-2008 ausgegeben. »Es ist nichts mit dem Geld passiert und heute wird es auch nicht besser sein.« »Einige Projekte werden hier und da unterstützt, um vor der Bevölkerung gut dazustehen. Der Rest verschwindet in die Taschen einiger weniger«, so der Migrationsexperte.

Der neu eingerichtete Fonds der EU wird vorsichtshalber direkt aus Brüssel verwaltet. Bis jetzt hat die Regierung noch kein Geld bekommen, sondern die großen nationalen Entwicklungsagenturen, wie die französische AFD zum Beispiel. Die lokalen Initiativen wie etwa diejenige »der Frauen im Kampf gegen die illegale Auswanderung« oder der Verein für die jungen Rückkehrer von Thiaroye-sur- mer gehen leer aus, beklagen sie. Oft wissen sie nicht einmal, dass es Geld gibt.

Der erste Adressat der Wut der Menschen in Senegal wegen der Abschottungspolitik der EU ist die eigene Regierung. Für Tandian hat die Regierung kein Interesse an dem Thema, die Zugeständnisse, die gegenüber der EU gemacht werden, wurden schon früher gemacht, es sei nichts Neues. Diskrete Rücknahme der aus Europa Abgeschobenen gäbe es schon lange. Er wirft der senegalesischen Regierung vor, nicht mit der EU über eine intelligente Migrationspolitik zu verhandeln, welche das starke Bevölkerungswachstum im Land ins Kalkül zieht und zur Entlastung des Arbeitsmarktes etwa Kontingente an »Gastarbeiter« für die EU festsetzt. Dafür aber stehen in Europa die Zeichen schlecht. »Es gibt nichts zu verhandeln!«, sagt der EU-Beamte in Dakar erschreckt. So diktiert die Angst vor den Rechtspopulisten in Europa das Handeln der EU in und mit Afrika.

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