Die Ente ist sicher

Fake-News gab es schon vor dem Internetzeitalter. Die sozialen Netzwerke erleichtern aber deren Verbreitung

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat unlängst »Postfaktisch« zum Wort des Jahres gewählt, auf Platz 2 landete »Brexit«, gefolgt »Silvesternacht«, die Redewendung »Oh wie schön ist Panama« hatte keine Chance und rangiert in der Liste für 2016 auf dem zehnten Platz. Diese Liste zeigt vor allem eines: Für die Sprachforscher sind die sozialen Netzwerke zum kulturell hegemonialen Raum geworden; dort werden die Begriffe und Formulierungen geprägt, die für den Sprachgebrauch in der ganzen Gesellschaft von Bedeutung sind. Dass es mit »postfaktisch« ein Begriff an die Spitze geschafft hat, ist dabei nicht ohne ironische Pointe: Das Netz gilt der analogen Welt weithin als Ort, an dem ungeprüft und ungefiltert Meldungen verbreitet werden dürfen; eine Art gesamtgesellschaftliche Schlussredaktion wie in einem klassischen Medium wie etwa einer Zeitung oder bei Fernseh- und Radiosendern gibt es hier nicht.

Ein Begriff fehlte in der Liste der GfdS: Fake-News. Was nicht an der Griffigkeit liegen dürfte, mit der dieses Wort das Netzphänomen beschreibt, dass immer mehr offensichtlich falsche Tatsachenbehauptungen über Netzwerke wie Facebook oder Twitter verbreitet werden. Den Begriff Fake-News gibt es im öffentlichen Diskurs einfach noch nicht so lange; das Wort hat aber gute Chancen, im nächsten Jahr das Rennen zu machen.

Dabei ist unklar, was Fake-News überhaupt sind. Der Medienwissenschaftler Michael Klein etwa meint, der Begriff suggeriere, dass es etwas Richtiges und etwas Falsches gebe. Es sei allerdings alles andere als einfach, eine sogenannte Falschnachricht von anderen Arten von Nachrichten abzugrenzen, meinte der Leiter des Frankfurter Instituts für Neue Medien (INM) kürzlich einem Interview mit Deutschlandradio Kultur.

Wie schwierig das im Konkreten ist, zeigt folgender Fall: Mitte Dezember berichtete die »Hildesheimer Allgemeine Zeitung« über ein Adventskonzert der Christophorusschule Elze, ein Gymnasium, das sich in Trägerschaft des CJD (Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands) befindet. An dem Konzert nahmen auch Schüler der Sprachlernklasse teil. Im Artikel wurde behauptet, dass der Chor der Schule aus Toleranz gegenüber anderen Religionen auf das Singen christlicher Weihnachtslieder verzichtet habe. Stattdessen seien Lieder ohne christlichen Bezug, z.B. ein DDR-Weihnachtslied, vorgetragen worden.

Der Artikel wurde im Internet von rechtspopulistischen Seiten weiterverbreitet und als Beleg für das Einknicken vor einem islamischen Herrschaftsanspruch bzw. als Ausdruck übertriebener politischer Korrektheit gegenüber Muslimen interpretiert. Der CJD reagierte schnell und stellte auf seiner Webseite ein Dokument ein, anhand dessen sich der tatsächliche Ablauf des Konzertnachmittags gut nachvollziehen lässt. Laut Programmheft bestand das Konzert am 3. Dezember aus 37 Liedern; nahezu ausschließlich waren es Lieder mit christlichem religiösen Bezug, die vorgetragen wurden. Lediglich die beiden Lieder, bei denen Kinder der Sprachlernklasse mitsangen, hatten keinen eindeutigen religiösen Inhalt. Eines (»Macht euch bereit«) stammt aus der Feder des Kinderliederkomponisten Rolf Zuckowski, das andere (»Still senkt sich die Nacht hernieder«) ist ein Weihnachtsfriedenslied aus der DDR (Melodie: Gerhard Wohlgemuth, Text: Hermann Heinz Wille). Das Abschlusslied »Oh du fröhliche« mit der schmetternden Schlusszeile »Freue, freue Dich O Christenheit« haben wiederum alle Kinder gemeinsam gesungen. Die »Hildesheimer Allgemeine Zeitung« hat den inkriminierten Artikel von ihrer Webseite entfernt und Mitte Dezember in einem weiteren Beitrag den Ablauf korrekt dargestellt. Aus der digitalen Welt ist die Falschmeldung damit aber nicht verschwunden; sie wird z.B. auf Facebook weiterhin munter geteilt und - mit anderen Verschwörungstheorien angereichert - weiterverbreitet.

Ginge es nach den Überlegungen einiger Politiker, dann wären Unternehmen wie Facebook künftig in der Pflicht, die Löschung solcher offensichtlicher Falschmeldungen selbst vorzunehmen. So sprach sich kurz vor Weihnachten der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann gegenüber dem Magazin »Spiegel« dafür aus, »marktbeherrschende Plattformen« wie Facebook gesetzlich zur Einrichtung einer Rechtsschutzstelle zu verpflichten, mit deren Hilfe die Opfer von Fake-News eine Löschung der Botschaften verlangen können. Justizminister Heiko Maas (SPD) geht sogar noch einen Schritt weiter. Er sprach sich dafür aus, dass Ermittlungsbehörden und Gericht die Verbreitung von verleumderischen Falschnachrichten in sozialen Netzwerken »hart bestrafen« sollen.

Was aber ist eine »verleumderische Falschnachricht«? Die oben geschilderte Meldung, dass bei einem Adventskonzert einer christlichen Schule aus Rücksicht auf muslimische Flüchtlingskinder keine christlichen Weihnachtslieder gesungen wurden, ist per se ja noch nicht verleumderisch, sie ist zunächst nur eines: falsch. Verleumderisch wurde sie, weil die Meldung im Netz mit der Intention verbreitet wurde, der Schule ein Einknicken vor dem politischen Islam vorzuwerfen und damit eine Rufmordkampagne gegen die Schule und deren Lehrer zu starten.

Facebook verspricht, für das Problem der Fake-News eine Lösung gefunden zu haben. Mittels eines »Anti-Fake-News-Tools« will man künftig automatisiert Falschnachrichten aus seinem Netzwerk entfernen lassen, kündigte das Unternehmen Mitte Dezember an. Ein »Score« soll eine Wahrscheinlichkeit berechnen, mit dem ein bestimmter Inhalt als »falsch« identifiziert werden kann. Internet-Experte Michael Klein hält es allerdings für schwierig, für die Einschätzung, ab wann eine Nachricht falsch, gar verleumderisch ist, technische Lösungen heranzuziehen. Algorithmen würden lediglich die Häufigkeit bestimmter inkriminierter Begriffe messen, die in einer Meldung auftauchen und könnten deshalb schwerlich etwa zwischen einem Hasskommentar und einer Satire bzw. einer Gegenrede unterscheiden. Klein sieht zudem keine Möglichkeit, im Netz verbreitete und erfundene bzw. als falsch eingestufte Nachrichten nachträglich zu entfernen. Was einmal gepostet worden sei, verbreite sich so schnell, dass ein Löschen nur mit hohem technischen und personellen Aufwand noch möglich sei.

Der Medienwissenschaftler zweifelt zudem am Willen von Facebook, effektiv gegen Fake-News vorzugehen. Facebook sei nicht nur eine technischen Plattform, sondern vor allem ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen, dessen Gewinn von den Werbeeinnahmen abhänge. Ein »hoher Austausch von Nachrichten« sei für das Unternehmen daher betriebswirtschaftlich notwendig.

Eine Übertragung von Kontrollfunktionen im Netz an Facebook sieht auch Kleins Kollege Bernd Gäbler kritisch. Eine profitorientierte Firma dürfe niemals damit beauftragt werden, eine für die gesamte Gesellschaft zuständige »Wahrheitskommission« einzurichten, sagte der Professor für Journalismus und Krisenkommunikation an der Fachhochschule des Mittelstandes Bielefeld vor wenigen Tagen ebenfalls gegenüber Deutschlandradio Kultur. Facebook müsse allerdings sicherstellen, das Strafbares im Netz von den Behörden auch geahndet werden können. Hier gebe es keine Lücke im Recht, sondern ein Problem bei der Durchsetzung des Rechts. Der ehemalige Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts hält es zudem für problematisch, jede Behauptung unter den Verdacht der Falschmeldung zu stellen. »Wer will das beurteilen? Ist die News ›Die Rente ist sicher‹ schon eine Fake-News?«

Statt durch Strafen oder durch eine wie auch immer geartete Kontrollinstanz Falschmeldungen zu löschen, schlägt Gäbler vor, mehr in die Bildungskompetenz der Bürger zu investieren. Gerade die Medien seien in der Pflicht, kontroverse Meinungen zuzulassen, sie anzuhören und zu debattieren und dabei gerade in den sozialen Netzwerken Fakten bereit zustellen, anhand derer die Nutzer selbst sich ein Urteil bilden könnten.

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