Kriminelle Vereinigung ist jetzt amtlich
Drei deutsche Anführer der Sektensiedlung »Colonia Dignidad« und zwei chilenische Geheimdienstagenten verurteilt
Nun ist es amtlich: Die berüchtigte deutsche Sektensiedlung Colonia Dignidad und der chilenische Geheimdienst DINA bildeten eine kriminelle Vereinigung. Das bestätigte am Freitag Chiles Oberster Gerichtshof in letzter Instanz.
Während die Colonia-Mitglieder Kurt Schnellenkamp und Gerhard Mücke bereits im Gefängnis sitzen, muss Karl van den Berg nun ebenfalls hinter Gitter. Die beiden DINA-Agenten sitzen ebenfalls bereits ein. Bei diesen fünf Angeklagten erhöhten die Obersten Richter die Haftstrafen um ein Jahr auf jeweils fünf Jahre Gefängnis. Diese fünf sind jene, die von den im Jahr 2006 angeklagten achtzehn Personen eine Haftstrafe abbüßen müssen. Vier Angeklagte wurden freigesprochen. Sechs sind während dem Gang durch die Instanzen verstorben, darunter Siedlungsgründer Paul Schäfer.
Die verbliebenen drei Angeklagten Colonia-Mitglieder Hartmut Hopp, Hans Jürgen Riesland und Albert Schreiber hatten sich durch die Flucht nach Deutschland einem Richterspruch entzogen. Während Hopp und Riesland weiter ihre Freiheit genießen, starb Schreiber 2008. Ein DINA-Agent lebt in den USA in einem Zeugenschutzprogramm.
Die Anfang der 1960er Jahre gegründete Kolonie diente während der Diktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) als Folterzentrum des Geheimdienstes. Zu dessen Verbrechen gehören Entführung, Folter, Mord und Verschwindenlassen von Regimegegnern, sowie die Herstellung von und der Handel mit Kriegswaffen. Außerdem wurden Mitglieder durch Psychopharmaka und Elektroschocks misshandelt, gerichtlich bestätigt ist der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen.
1990 lebten fast 300 Menschen in der Siedlung 400 Kilometer südlich von Santiago. Es waren vor allem Deutsche, aber auch Chilenen, die als Kleinkinder ihren Familien entrissen wurden. Gründer Paul Schäfer war in mehreren Prozessen zu insgesamt 33 Jahren Haft verurteilt worden, unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs. Er wurde 2005 in Argentinen verhaftet, nachdem er acht Jahre untergetaucht war. Im April 2010 starb der 88-Jährige in einem Gefängniskrankenhaus in Santiago.
Hopp war Arzt in der Siedlung und wurde in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Er galt nach dem Siedlungsgründer Paul Schäfer als mächtigster Mann der Kolonie. Weil das Urteil in Chile noch nicht rechtskräftig ist, war Hopp auf freiem Fuß geblieben. Im Mai 2011 flüchtete er nach Deutschland und lebt seither in Krefeld. Im Juni 2016 hatte die Krefelder Staatsanwaltschaft den chilenischen Vollstreckungsantrag befürwortet und zur Entscheidung an das Landgericht weitergeleitet. Eine Entscheidung darüber steht noch immer aus, wird jedoch im Frühjahr 2017 erwartet.
Opfervertreter und deren Anwälte bewerten das Urteil kritisch. »Dutzende Verbrechen der Colonia Dignidad wurden bis heute nicht untersucht«, so Rechtsanwalt Hernán Fernández. »Dass Täter wie Hartmut Hopp heute in Deutschland straflos leben ist ein Skandal.« Zwar bestätige das Urteil die systematische Zusammenarbeit der Siedlung mit dem Geheimdienst, zeige aber zugleich deren mangelnde juristische Aufarbeitung, sagt auch Jan Stehle vom Berliner Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika. Über 30 Jahre lang habe die bundesdeutsche Justiz strafrechtlich gegen Colonia Führungsmitglieder ermittelt, aber kein einziges Mal Anklage erhoben.
Die nach Deutschland geflüchteten noch lebenden Angeklagten Hopp und Riesland säßen in Chile zweifellos hinter Gittern. Von den vermutlich über hundert Menschen, die in der Colonia Dignidad umgebracht wurden und bis heute »verschwunden« sind, ist noch nicht ein Fall geklärt. »Dies ist für die Angehörigen sehr schmerzhaft«, so Stehle. Deutschland und Chile müssten auf politischer und strafrechtlicher Ebene zusammenarbeiten, um die Taten aufzuklären, die Verantwortlichen zu bestrafen und den Opfern Unterstützung zu bieten.
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