Der Feldzug der Unangepassten

Reisen, Sex, Drogen: Das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien porträtiert die Beat Generation

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 5 Min.

Auffallen und entrümpeln, die alte Moral entstauben - das war der Anspruch der sogenannten Beat Generation. Entstanden Ende der 40er Jahre, rebellierten junge Autoren, Künstler und Filmemacher in den USA gegen Konservatismus und die Engstirnigkeit der McCarthy-Ära. Ihr Gegenprogramm: Sex, Drogen, Provokation, Liberalität und vor allem Improvisation. Was aus dieser Kombination hervorging, lässt sich gegenwärtig in einer mehr als 400 Werke umfassenden Ausstellung des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) bestaunen.

Statt auf Kapitalismus und Heimattümelei der 60er Jahre setzen die jungen Wilden, darunter Persönlichkeiten wie William S. Burroughs, Jean Genet, Mary Beach und Allen Ginsberg, auf künstlerische Avantgarde, freigeistig und subversiv. So auch in Stan van der Beeks Film »Science Friction« von 1959. Hierin fliegen der Eiffelturm und die Kuppel des US-Kongresses durch die Luft, werden Köpfe von Pappfiguren mit einem Hammer aufgeschlagen. Dass sich Neues formen kann, setzt die Zertrümmerung des Gestrigen voraus. Wen wundert es in dem verqueren Montage-Spiel schon, auch noch auf das Konterfei von Sigmund Freud zu stoßen. Während man in diesem Panorama der Absurdität ganz in den surrealen Sog eines Teils der Szene gerät, zeigen Robert Frank und Alfred Leslie in ihrem Film »Pull my Daisy« aus demselben Jahr ganz realistisch ihr so einfaches wie unorthodoxes Leben inmitten der Großstadt. Man lacht, man trinkt und arbeitet, jenseits jedweder sozialen Norm. Man feiert Spontanität als Daseinsprinzip.

Wo alles erlaubt ist, gibt es nur ein Gebot: Du darfst nicht angepasst sein. Eindringlich wendet sich Peter Emmanuel Goldmans Experimentalfilm »Pestilent City« (1965) gegen die widerstandslose Konsumlaune der modernen Gesellschaft. Jeder Mensch gleicht seinem nächsten. Die Passanten erscheinen in einem grellen, weißen Licht, als ob sie zwischen Werbung und Kauf zu Schatten ihrer selbst geworden seien. Wie mit der Axt schlagen die »Beatniks«, eine Wortschöpfung des Journalisten Herb Cean, die auf Begriffe wie den »Peacenik« (abschätzig: Pazifist) und den Sputnik verweist, Kerben in die Oberfläche der biederen Bürgerlichkeit. Ihr Augenmerk gilt den verborgenen Strukturen darunter: einem ausbeuterischen Wirtschaftssystem, Phänomenen wie Homophobie, Kolonialismus, Sexismus, Rassismus und Kriegstreiberei. Angesichts dessen hilft nur Provokation. Dem puritanischen Amerika setzt Allen Ginsberg sein umstrittenes Poem »Howl« (1955) entgegen, worin mitunter die »Holy cocks of the grandfathers of Kansas« besungen werden. Der militärischen Allpräsenz der USA widmet sich Gregory Corsos Gedicht »Bombe« (1950), worin auf den »Planetarischen Tod« ein »Hosianna« erklingt.

Derartig zu poltern und zu protestieren, ruft auch die etablierten Medien auf den Plan. Mit Schriften, die im Privatdruck erschienen oder vom ebenso in Karlsruhe zu sehenden »Mimeographen« schnell und günstig vervielfältigt werden konnten, erobert sich die Beat Generation zunächst einen kleinen Markt, der bald schon weite Kreise zieht. Das Magazin »Life« betitelte eine ihrer Ausgaben mit »Happenings. The Worldwide Underground of the Arts Creates the Other Culture«. Und sogar Londons Hochkulturtempel, die Royal Albert Hall, können die Autoren, die mit einem dionysischen Spektakel aufwarten, 1965 mit 70 000 Zuschauern füllen. Ein Rausch aus Alkohol und Marihuana geht durch die Reihen, bis das Publikum Blumen auf die Dichterrebellen regnen lässt. Hippies und die 68er - in den stets performativ und aus der Aktion heraus handelnden Beatniks sollten sie ihre Vorbilder finden.

Nicht nur die freie Liebe und ein unentwegter Kampf gegen das Establishment gehören zum - losen - Programm der Aufmüpfigen. Auch das Reisen bildet einen wesentlichen Kern ihres Schaffens. Immer wieder sehen wir Fotografien und Filmbilder, die aus dem Auto heraus aufgenommen wurden, oder tauchen in ferne Landschaften ein. Indem Bernard Plossus mit seiner »Le Voyage Mexicain« (1965-1966) die leeren Straßen, spartanischen Interieurs und mitunter hoffnungslosen Gesichter der Einwohner des von Teilen der US-Elite so verhassten südlichen Nachbarlandes einfängt, gelingt es ihm, die Trostlosigkeiten und Sehnsüchte einer ganzen Kultur einzufangen. Imposant und bewegend fällt die Dokumentation dieser Tour d’horizon aus.

Unterwegssein gleicht einer Philosophie, einem Bewusstseinszustand. Dass diese Form der Welteroberung nicht nur auf physischem Wege geschehen muss, veranschaulicht das wohl beeindruckendste Artefakt der Werkschau: Jack Kerouacs 36 Meter lange Papierversion (bestehend aus aneinandergeklebtem Butterbrotpapier) von »On the Road«, die den Titel »American Times« (1951) trägt. Es sei, wie sich den zumeist profunden Erklärungen dazu entnehmen lässt, eine »Allegorie eines reisenden Schriftstellers, den die Energie der Musik vorantreibt«. »Ich ließ die Worte fließen, eine Welle folgte der anderen, ohne Unterbrechung, nur halb wach und mir kaum bewusst, was ich da tat, außer, dass ich schrieb«, so der zwischen Trance und Wachheit oszillierende Autor. Wir werden der Reise als einem vom Jazz inspirierten Schreiben in die Endlosigkeit, einer Lektüre als abschließbarem Prozess gewahr.

So gibt diese Ausstellung alles her, was man sich wünscht: Informationen, Persönlichkeiten und Konzeptionen und Kompositionen, Irritationen und Wahrhaftigkeit. Nur eines bietet sie nicht, weil sich auch ihr Gegenstandsfeld dem verweigert, nämlich ein Motto oder eine gemeinsame Überschrift. Zu disparat und disharmonisch fällt die Bewegung der Beats in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus. Vielleicht weil sie auch dezentral sein wollte. Tanger, Paris oder New York waren Kulminationspunkte, wo die Vertreter der Richtung ihre ganz eigenen Wege einschlugen.

Die Kuratoren Peter Weibel, selbst Direktor des ZKM, Jean-Jacques Lebel und Philippe-Alain Michaud hüten sich davor, Heterogenität zugunsten einschlägiger Etiketten zu glätten oder zu vereinfachen. Die Beatniks schufen ein so buntes, so anarchisches wie multimediales Biotop, in dem das Fremde fremd bleiben konnte. Nur auf diese Weise gelang es ihnen, der Wirklichkeit in ihrer verstörenden Art nahe zu kommen.

Bis 30.4.17; www.zkm.de

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