Erfundener Postkapitalismus
Das Buch »Inventing the future« der Briten Srnicek und Williams verdient es, kontrovers diskutiert zu werden
Als das Buch der beiden jungen britischen Autoren in englischer Originalsprache 2015 veröffentlicht wurde, sorgte es für einige Aufregung. Neben viel Lob ernteten Nick Srnicek und Alex Williams auch harsche Kritik. Letztlich seien sie weltfremde Akademiker, hieß es von Kritikern, die mit ihrer Beschleunigungsthese eher den Neoliberalismus beförderten, als eine antikapitalistische Perspektive zu eröffnen.
Dabei ist die vielfach in den Mittelpunkt der Kritik gerückte These von der notwendigen Beschleunigung der weltweiten Technologisierung mitnichten der Ausgangspunkt der Überlegungen. Den Autoren geht es vielmehr um die Überwindung der Arbeitsgesellschaft und damit um eine Ablösung des kapitalistischen Regimes insgesamt. Vollkommen zurecht weisen sie darauf hin, dass man als Linke den Prozess der sich vollziehenden Automatisierung von menschlicher Arbeit nicht bekämpfen, sondern vielmehr überlegen sollte, wie man ihn für eigene Ziele und Kämpfe nutzbar machen könnte. Dazu fordern sie von »der Linken« eine Abkehr von ihrer vielfach ritualisierten »Folk-Politik«, also dem bloßen Reagieren auf besondere Auswüchse des Systems. Stattdessen sollten sich die verschiedenen Gruppen und Strömungen auf die Überwindung der Arbeit als zentrale Kategorie der Vergesellschaftung einigen, sich hinter der Utopie einer arbeitsfreien Welt versammeln und in einer lange angebahnten, konzertierten Aktion diskursive Hegemonie erreichen, um dann, im richtigen Moment, die richtigen postkapitalistischen Antworten auf den krisenhaft taumelnden Kapitalismus geben zu können.
Solche grundsätzlichen strategischen Überlegungen sind überfällig und damit verdienen es Srnicek/Williams, ernst genommen zu werden.
Das fällt im Verlauf ihrer sonstigen Argumentation hingegen nicht immer leicht. Etwa wenn sie für ihr langfristig angelegtes Hegemonievorhaben den Neoliberalismus zum Vorbild küren, da dessen Vordenker das genauso gemacht hätten - eine Argumentation, die an Konfusion kaum zu überbieten ist, schließlich ist der Neoliberalismus in erster Linie die innerhalb kapitalistischer Kategorien notwendige Reaktion auf das Scheitern des nationalen Keynesianismus und genau genommen die kapitalistische Antwort auf das Problem der Automatisierung. Srnicek/Williams hingegen meinen, es hätte seinerzeit durchaus eine Alternative zum Neoliberalismus gegeben, beispielsweise »eine erneute stärkere Regulierung des Kreditwesens« - was soll man da noch sagen?
Immer wenn der Text konkret werden müsste, wenn es interessant wird, beispielsweise hinsichtlich der Frage, wodurch genau der Marktmechanismus zur Distribution von Arbeit und Reichtum ersetzt werden könnte, wird es im Buch verdächtig vage. Als politisches Subjekt etwa wird die Arbeiterklasse verabschiedet und stattdessen »das Volk«, das populistisch von links agitiert und mobilisiert werden müsse, in Stellung gebracht. Na, dann. - Als zentrale Forderung und als wichtigstes politisches Projekt wird indes die Durchsetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in zum Leben ausreichender Höhe gefordert, womit ein Großteil des zuvor aufgebauten antikapitalistischen Popanz in sich zusammenfällt, denn das BGE ist eine im Grunde sozial-liberale Idee, im Übrigen vollkommen abhängig von funktionierender Wertverwertung und damit von möglichst viel eingesetzter menschlicher Arbeitskraft. Hier zeigt sich vielleicht am deutlichsten das Problem des Buches: Man will die Arbeitsgesellschaft überwinden ohne revolutionäre Konfrontation mit den hochgerüsteten ideellen Gesamtkapitalisten, ohne also politisch die Eigentumsfrage zu stellen. Einerseits soll Lohnarbeit aus dem Produktionsprozess beschleunigt entfernt werden, andererseits möchte man den nur durch Anwendung menschlicher Arbeit zu erzielenden Mehrwert in großem Ausmaß via BGE an alle verteilen. Wie dieses Paradox aufzulösen wäre, behalten Srnicek/Williams für sich. Ihre angeblich radikalen Lösungen sind letztlich selbst oftmals eher braves sozialdemokratisches Wunschdenken.
Nick Srnicek/ Alex Williams: Die Zukunft erfinden - Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit. Aus dem Englischen von Thomas Atzert. Verlag Klaus Bittermann/Edition Tiamat, Berlin 2016. 383 S., br., 24 €.
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