Stellvertreterkrieg um Jeremy Corbyn
Der Labour-Chef gerät beim Machtkampf an der Spitze der größten britischen Gewerkschaft Unite in die Mühlen
Es kam unerwartet: Der Generalsekretär der britischen Gewerkschaft Unite the Union, Len McCluskey, trat Anfang Dezember zurück. Eigentlich hätte seine Amtszeit noch ein Jahr gedauert. Sein Rückzug hat nicht nur Auswirkungen auf die mit über 1,4 Millionen Mitgliedern größte Gewerkschaft der Insel. Der Ausgang der nun anstehenden Neuwahl des Vorsitzenden der allgemein als Unite bezeichneten Gewerkschaft wird maßgeblich auch das Schicksal der Labour Party und ihres Vorsitzenden Jeremy Corbyn bestimmen.
McCluskeys Rücktritt nach sechs Jahren an der Spitze von Unite wird von vielen als taktischer Schachzug verstanden: Eine Wiederwahl soll es ihm ermöglichen, den Vorsitz bis zum Wahljahr 2020 zu behalten. Kandidaten für den Vorsitz der Gewerkschaft müssen bis zum 22. Februar von mindestens 50 Betrieben nominiert werden. Die Wahl wird zwischen Ende März bis Mitte April stattfinden.
McCluskey war bisher stets treuer Anhänger Corbyns und Unite wichtigster Geldgeber für Labour. Die Abstimmung über ihn wird deshalb auch als Vertrauensfrage für Corbyn gewertet. Einen Gegenspieler hat er indes schon jetzt: Gerard Coyne, langjähriger Unite-Vorsitzender in den Westmidlands, wird versuchen, an die Spitze der Gewerkschaft zu gelangen. Und bei einer Wahlbeteiligung von über 25 Prozent soll der auf dem rechten Gewerkschaftsspektrum angesiedelte Coyne gute Siegeschancen haben. Bei einer geringeren Beteiligung (unter 20 Prozent) hingegen werden dem linken McCluskey bessere Chancen eingeräumt.
Als Coyne seine Kandidatur ankündigte, griff er McCluskey für dessen Teilnahme an den »Westminster-Machtspielchen« an. Er bezeichnete ihn als »Strippenzieher« hinter Corbyn und warf ihm vor, die eigenen Anhänger zugunsten der Labour Party zu vernachlässigen. So kritisierte er, dass Corbyns umstrittene Vorhaben, mit Benzin betriebene Autos zu verbieten sowie nuklear abrüsten zu wollen, jenen Unite-Mitgliedern schade, die in den betreffenden Industrien beschäftigt sind.
Den Machtkampf um den Vorsitz von Unite wird somit als Stellvertreterkrieg um das Herz und die Seele der Labour Party interpretiert. Wichtige Vertreter der Partei, wie zum Beispiel das ehemalige Mitglied des Schattenkabinetts von Ed Miliband Ed Balls glauben, dass eine Niederlage McCluskeys eine weitere Vertrauensfrage für Corbyn nach sich ziehe.
Ein Grund dafür: McCluskeys starke Unterstützung für Corbyn bei seinen beiden letzten Siegen um den Parteivorsitz. Gerade die finanzielle Hilfe war entscheidend, nachdem ein anderer großer Geldgeber der Partei, die Gewerkschaft GMB mit 600 000 Mitgliedern, Corbyn die Unterstützung verweigerte. Außerdem votierte die Unite-Jahresversammlung 2016 für eine verpflichtende Neuwahl von Labour-Delegierten. Parlamentarier wären dann gezwungen, sich von ihren Wahlkreisen bestätigen zu lassen. Nach dem Streit zwischen der Labour-Fraktion im Parlament und dem Parteivorsitzenden Corbyn infolge des Brexit-Votums kann dies als wichtigstes Machtinstrument für Corbyn und seine Anhänger gesehen werden.
Bisher galt McCluskeys Unterstützung für Corbyn als ungebrochen. Doch am Montag hat er angekündigt, dass Corbyn wahrscheinlich zurücktreten müsse, wenn seine »schrecklichen« Umfragewerte sich nicht bald besserten. »Es ist meine Aufgabe«, sagte McCluskey, »die Politik von Unite voranzubringen, nicht die der Labour Party«.
Corbyns Anhänger scheinen derweil die parteiinternen Satzungen ändern zu wollen, um die Wahl eines linken Kandidaten an die Parteispitze zu erleichtern. Momentan benötigt ein Kandidat die Unterstützung von 15 Prozent der Parlamentsfraktion, um an der Wahl zum Vorsitz teilnehmen zu dürfen. Es ist davon auszugehen, dass dem Kongress der Labour Party im Herbst ein Antrag mit dem Ziel vorgelegt wird, diese Zahl auf fünf Prozent zu reduzieren. Damit könnte der jetzige Schattenkanzler John McDonald den Vorsitz von Corbyn übernehmen. Als größte Gewerkschaft entsendet McCluskeys Unite etwa 1000 Delegierte zu diesem Kongress und formt damit eine der größten Wählergruppen.
Gerard Coyne forderte derweil strengere Grenzkontrollen und hält es im Gefolge des Brexit-Referendums für notwendig, die Zuwanderung nach Großbritannien zu reduzieren. Zuvor hatte sich auch McCluskey ähnlich geäußert, inzwischen hat er seine Position aber revidiert.
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