Proteste nach Holm-Rückzug
Initiativen und Studierende kritisieren Bürgermeister Müller und Rot-Rot-Grün für Personalentscheidung
»Uns stinkt›s«, ruft Susanna Raab ins Mikrofon. Sie studiert Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität (HU) und hat sich an diesem Dienstagmorgen mit rund 50 Kommilitonen vor dem Grimmzentrum, der Universitätsbibliothek, versammelt. Gemeinsam demonstrieren sie für den Verbleib von Andrej Holm als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule. Es ist der Tag nach seiner Erklärung, als Bau-Staatssekretär des Senats zurückzutreten.
Zur gleichen Zeit tagt in einigen hundert Metern Entfernung im Hauptgebäude Unter den Linden der Akademische Senat (AS), um über die rechtliche Bewertung des von Holm ausgefüllten Personalfragebogens und damit auch seinen Status als Angestellter zu entscheiden. Zunächst wollten Holm und HU einen Auflösungsvertrag unterzeichnen, dies zog Holm aber im Zuge der Debatte um ihn zugunsten einer rechtlichen Klärung des Arbeitsverhältnisses zurück.
In der Linkspartei wurde die Causa Holm auch nach dessen Rücktritt als Baustaatssekretär weiter kontrovers diskutiert. Die Bundesvorsitzende der Partei, Katja Kipping, sagte in einem Interview mit der »taz«: »Wenn wir das Ganze als einen Lernprozess begreifen, haben wir doch schon einmal etwas gelernt: nämlich, wie man es nicht macht.«
Kipping kritisierte indes auch die SPD, »die einfach über die Medien den Koalitionspartner von einer Entscheidung« informierte. Die Bundesvorsitzende erneuerte in der »taz« darüber hinaus ihre Aussage, dass sie Holm aufgrund seiner fachlichen Eignung und seiner kritischen Position zum SED-Unrecht für die richtige Besetzung hält.
Bodo Ramelow, der Ministerpräsident von Thüringen, mahnte dagegen eine größere Sensibilität im Umgang mit der Stasi-Vergangenheit bei der Ernennung von Regierungsmitgliedern an. Der Linkspartei-Politiker plädierte dafür, keine derart belasteten Personen in Regierungsämter zu berufen. Er habe bei der Bildung des Kabinetts in Thüringen »darauf gedrungen, dass wir eindeutig sagen: Wir werden niemanden, der dem Apparat Staatssicherheit in irgendeiner Weise diente, in ein Regierungsamt berufen«, sagte Ramelow der »Thüringer Allgemeinen«. Damit sei »ausdrücklich auch der Wehrdienst im Wachregiment der Staatssicherheit« gemeint gewesen. epd/nd
Zu Beginn der nicht-öffentlichen Sitzung übergaben Studierendenvertreter der Hochschulpräsidentin Sabine Kunst eine Unterschriftenliste von 350 Unterzeichnern, die sich hinter Holm stellten. Später drangen Protestierende zudem in die Gremiumssitzung ein, um ihren Unmut kundzutun.
An diesem Mittwoch will die Universität ihre Bewertung des Personalfragebogens verkünden, in dem Holm 2005 zwar Angaben zu seinem Wehrdienst beim Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) »Feliks Dzierzynski« gemacht hatte, eine hauptamtliche Tätigkeit bei der Stasi jedoch verneint hatte. Holm hatte erklärt, er habe zu Unrecht angenommen, seine hauptamtliche Tätigkeit hätte erst nach dem Wehrdienst beginnen sollen.
Der Senat beschloss am Dienstagvormittag unterdessen die Entlassung Holms auf Vorlage von Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE). Die Abstimmung sei einstimmig gewesen, sagte Senatssprecherin Claudia Sünder. Holm hatte zwar am Montag seinen Rücktritt verkündet, nach Landesbeamtengesetz kann sich ein Beamter jedoch nicht selbst entlassen, sondern nur derjenige, der ihn eingestellt hat. In diesem Falle ist das der Senat. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagte auf der Senats-Pressekonferenz: »Alle Senatsverwaltungen haben gerackert, was das 100-Tage-Programm angeht. Ich finde es gut, dass jetzt ein Punkt gesetzt ist, und dass wir zur Sacharbeit zurückkommen.« Zum innerkoalitionären Krach sagte Scheeres: »Im Koalitionsausschuss kann das Thema Kommunikation besprochen werden.« Einen Termin dafür gebe es allerdings noch nicht.
Von linken und stadtpolitischen Organisationen war der Rücktritt Holms kritisiert worden. Bei einer Veranstaltung der Wochenzeitung »Freitag« mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Dienstagabend im Gorki-Theater solidarisierten sich rund 200 Demonstranten mit Holm. Sie forderten unter anderem, dass »Schluss mit Müllers Basta-Politik« sein müsse.
Müller kritisierte hingegen erneut den Umgang Holms mit seiner Vergangenheit beim MfS: »Diesen Rücktritt habe Holm sich im Wesentlichen selbst zuzuschreiben.« Ein Beleg dafür sei Holms Erklärung zu seinem Rücktritt. »Die Stellungnahme trieft vor Selbstgerechtigkeit«, so Müller.
Andrej Holm selbst scheint der Rücktritt indes entspannt zu haben. Locker wie lange nicht diskutierte er am Montagabend auf dem ExRotaprint-Gelände mit den zahlreich erschienenen Vertretern von wohnungspolitischen Gruppen. Holm moderierte das von ihm einberufene Treffen selbst. Das Gelände sei der richtige Ort für das Treffen »an einem Tag, an dem es nicht so aussieht, als würden die guten Ideen im Vordergrund stehen«.
Unterstützung erhielt Holm bei der Versammlung erneut von stadtpolitischen Initiativen wie »Kotti & Co«. »Ohne die Welle der Solidarität wäre Andrej Holm viel, viel früher abgesägt worden«, sagt Matthias Clausen, Mitinitiator der von 15.000 Menschen unterzeichneten Petition für Holm. Die Unterstützung habe indes nichts mit einem »Personenkult« zu tun, hieß es. Rot-Rot-Grün attestierte Clausen, dass letztendlich mitregieren wichtiger ist als »den Kontakt zur Stadtgesellschaft, auch durch Personalentscheidungen, zu halten«.
Holm und Mitstreiter stellten darüber hinaus zeitliche Abläufe dar. »Die LINKE hat mir gesagt, sie würde mich nicht fallen lassen. Das wäre tatsächlich auch ein Gesichtsverlust gewesen«, sagte Holm. Auf einer Kampfabstimmung im Senat und ein Ende der Koalition wollte er es nicht ankommen lassen. Das wäre eine totale Selbstüberschätzung seiner Person gewesen. Der Stadtforscher will jetzt wieder gemeinsam mit den Initiativen den Senat treiben.
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