Höcke wackelt, aber fällt nicht

Die AfD ist mit den Äußerungen des Thüringers zum Holocaustgedenken überfordert

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Björn Höcke dürfte gewusst haben, welches mediale Echo seine Dresdner Rede erzeugt. Die Republik spricht wieder einmal über die AfD, zwingt der Öffentlichkeit eine Debatte von rechts auf. Soweit dürfte der kalkulierte Eklat im Sinne der Parteispitze sein. Sie hat es selbst beschlossen. In einem Strategiepapier vom Dezember. Das Prinzip: Schlechte Nachrichten sind besser, als würde niemand über die Rechtspartei sprechen.

Doch anders als die Schießbefehl-Debatte um Beatrix von Storch oder Frauke Petrys Forderung, den Begriff «völkisch» wieder positiv zu besetzen, könnte der AfD die aktuelle Provokation möglicherweise entgleiten. Illustriert wird ihr Problem mit dem Titelbild der Hamburger Boulevardzeitung «Morgenpost» vom Donnerstag: Der Titel zeigt Höcke in einer Gegenüberstellung mit NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Dazu die Schlagzeile: «Er ist wieder da! AfD-Anführer Höcke verhöhnt Holocaust-Opfer mit widerlicher Nazi-Rede».

Auch Sascha Lobo erklärt auf «Spiegel Online», der Thüringer Landesvorsitzende wolle ein Deutschland, «das nicht aus der Nazizeit lernen darf». Neu sind solche Analysen und Feststellungen nicht. Nur wurden dieser bisher in solcher Schärfe kaum in bürgerlichen Medien vorgetragen, sondern stammten von Anti-Rechts-Initiativen, die für Konservative per se in Verdacht stehen, «linke Propaganda» zu betreiben.

Wenn die AfD-Spitze nun lesen muss, wie Höcke öffentlich mehrdeutige Äußerungen zum Holocaustgedenken in der Bundesrepublik äußert und von «dämlicher Bewältigungspolitik» redet, dann müsste selbst für die Verhältnisse der Rechtspartei eine Grenze überschritten sein. Der Holocaust und die deutsche Vergangenheitsbewältigung? Die Themen taugen (zurecht) nicht, um sie im Wahlkampf zu thematisieren. Zumal Historiker und Lehrer Höckes These, der Schulunterricht mache die deutsche Geschichte «mies und lächerlich», gerade in der Luft zerreißen. «Das sind absurde Unterstellungen eines Außenseiters», gibt Ulrich Bongertmann, Vorsitzender beim Verband der Geschichtslehrer Deutschlands, zu Bedenken. Anstatt sich aber geschlossen von Höcke zu distanzieren, erinnern die Reaktionen der AfD an die Debatte um Wolfgang Gedeon.

Zur Erinnerung: Der Stuttgarter Landtagsabgeordnete behauptet, der Holocaust sei eine «Zivilreligion des Westens» und das Holocaustdenkmal diene der Erinnerung an «gewisse Schandtaten». Die Partei verlassen musste Gedeon bis heute nicht. Auch, weil Höcke und dessen Unterstützer in die Bresche sprangen. Den Thüringer und Gedeon einen nicht nur ideologische Schnittmengen.

Letztlich geht es auch um die Frage, wer in der AfD die Macht hat. Deshalb ist es nicht verwunderlich, von wem bisher die schärfste Kritik kam. Parteichefin Petry erklärte in der Rechtspostille «Junge Freiheit», dass Höcke mit seinen Alleingängen und ständigen Querschüssen zu einer Belastung für die Partei geworden« sei. Quasi wortgleiches hatte Petry vor gut einem Jahr gesagt, als sie Höcke nach dessen Äußerungen über den »lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp« letztlich erfolglos aus der Partei werfen wollte.

Wie damals, so kann sich der völkische Nationalist wieder seiner Parteifreunde gewiss sein. AfD-Vize Gauland nahm Höcke in Schutz. Er habe »in keiner Weise Kritik an der Erinnerung an den Holocaust geübt« und der Hinweis, wonach »die Leistungen der deutschen Geschichte im öffentlichen Diskurs oftmals ›unter der Erinnerung an diese zwölf Jahre‹ verschwänden«, sei nachvollziehbar.

Auch Petry-Gegenspieler Jörg Meuthen, der in der Causa Gedeon als Vorsitzender der Südwest-AfD eine schlechte Figur abgab, rang sich nicht durch, Stellung gegen Höcke zu beziehen. Stattdessen nannte er ihn einen »Parteifreund« und sagte, er halte »den Duktus« der Rede zwar für kritisch, widerspreche aber dem Vorwurf, dass im Unterton bezweckt worden sei, »das Gedenken an die Verbrechen der Nazibarbarei« für obsolet zu erklären. Petry dürfte es schwer haben, im Bundesvorstand eine Mehrheit gegen Höcke zu organisieren.

Am deutlichsten drückte sich aus diesen Reihen bisher das eher unbekannte Mitglied Dirk Driesang aus. In einem Offenen Brief forderte er, Höcke solle die Partei verlassen oder die Dresdner Rede zurücknehmen und sein politisches Wirken künftig auf Thüringen beschränken. Ein Parteitag dort hatte ihn übrigens erst im Oktober mit 93 Prozent als Landeschef bestätigt. Dabei sind sie im Freistaat nah dran an den regelmäßigen Eskapaden ihres Chefs. Dessen Stuhl wackelt nun, aber Höcke fällt nicht.

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