Es hat sich ausgebremst
Frank Puskarev hält Theresa Mays Ankündigung, einen harten Brexit durchziehen zu wollen, für folgerichtig
Seit Dienstag wissen nun alle: Großbritannien wird den harten Ausstieg aus der EU wohl vollziehen. Die Wunschliste der Premierministerin Theresa May ist übersichtlich, eine EU-Mitgliedschaft light soll demnach nicht angestrebt werden. Das ist folgerichtig, denn die Mehrheit der Menschen auf den Inseln vor dem europäischen Kontinent hat beschlossen, die EU zu verlassen und muss jetzt die Konsequenzen der eigenen Unaufrichtigkeit tragen.
Wir erinnern uns: Den Schwenk vom Nachkriegssozialstaat zum neoliberalen Nachtwächterstaat hat schon Margaret Thatcher vollzogen. Den radikalen Umbau des britischen Sozialstaats begann sie sogar noch vor dem EU-Beitritt 1973, als sie als Bildungsministerin die Schulmilch strich und nur mit großem Druck davon überzeugt werden konnte, wenigstens den Jüngsten diese Grundversorgung zuzugestehen. Später senkte »Thatcher [...] Steuern, strich Subventionen, kürzte Staatsausgaben. Kohlegruben und Stahlwerke wurden reihenweise geschlossen«, heißt es in einem Nachruf auf die »eiserne Lady«.
Frank Puskarev arbeitet im Europäischen Parlament und ist Mitglied des Vorstands des Forums Demokratischer Sozialismus in der LINKEN.
Es waren und sind diese Einschnitte ins Sozialsystem, gepaart mit der Vernachlässigung der industriellen Basis zugunsten des Londoner Finanzplatzes, welche den britischen Staat um seine Glaubwürdigkeit und die Unterstützung seiner Bürger brachte. Die EU war zwar zu jeder Zeit beliebter Blitzableiter, von Beginn an aber haben alle britischen Regierungen darauf geachtet, möglichst zu jeder Regulierung und Kontrolle eine Ausnahme für das Königreich auszuhandeln. Sie haben also den neoliberalen Kahlschlag ganz ohne Zutun der EU erledigt.
Diese Ausnahmen dienten dann im Umkehrschluss der EU und ihren Institutionen auch als Begründung, weitere Einschnitte in Sozialsysteme zu verabreden oder Aufweichungen von Finanzmarkt- oder Verbraucherschutzregelungen vorzuschlagen. Es ging schließlich um die Wettbewerbsfähigkeit. Je nach Diskussionsstand mal um die des Kontinents oder eben der Insel. Und erst beim letzten dieser schmutzigen Deals haben sich offenbar alle Beteiligten verkalkuliert. »Verzockt« wäre wahrscheinlich das angemessenere Wort. Die britischen BürgerInnen haben für dieses eine Mal den Finger erhoben und gesagt: bis hierher und nicht weiter. Der Versuch, durch Erpressung der EU mit dem Austritt aus selbiger weitere Einschnitte in die Sozialsysteme durchzudrücken und gleichzeitig die Unverzichtbarkeit der Mitgliedschaft in der EU zu predigen, ist gescheitert.
Es ist gut, dass all das jetzt ein Ende findet. Es wäre zwar besser, das Königreich bliebe in der EU und verzichtete auf seine Sonderstellung. Für Brüssel jedoch ist auch diese Entscheidung eine Chance. Die Bremser von der Insel können nun nicht mehr als Argument gegen eine Weiterentwicklung der Union herhalten. Auch und gerade, um dem neuen Präsidenten der USA Donald Trump zu zeigen, dass die EU wichtige Akteurin und Referenzpunkt in der Weltpolitik bleiben wird, müssen nun die Weichen gestellt werden für ein soziales Europa. Denn das ist es, was die Menschen erwarten, was ihnen versprochen wurde.
Will man den rechten Rattenfängern in Europa das Wasser abgraben, dann muss in den kommenden Jahren diese Baustelle endlich bearbeitet werden. Schon jetzt berät Londons Finanzplatz, wie es sein EU-Geschäft retten kann und plant massive Jobtransfers nach Rom, Paris und Frankfurt am Main. Etwa 20 Prozent Umsatzvolumina werden Analysten zufolge dem Rückgrat der britischen Wirtschaft wegbrechen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die britische Premierministerin damit droht, der EU mit Dumpingsteuern und der Zerschlagung des britischen Restsozialstaates Konkurrenz zu machen, sollte sich die EU in den kommenden Brexit-Verhandlungen nicht wohlwollend verhalten.
Eine Entwicklung hin zu einem sozialen und prosperierenden Europa führte nicht nur den Briten ihren Fehler vor Augen. Großbritannien sähe sich auch in den kommenden Jahren bei den anstehenden Freihandelsverhandlungen damit konfrontiert, sich erneut und deutlich stringenter EU-Normen unterwerfen zu müssen. Und der rechte Mob wird dann eingestehen müssen, dass kein Nationalstaat der Welt heute noch alleine durchkommt und kooperatives Wirtschaften eine Grundbedingung zur Vermehrung des Wohlstandes aller ist. Trumps Wahn von Teilen und Herrschen dürfte damit zumindest hier in Europa Ad acta zu legen sein.
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