Ein Heim für Skandalaufdecker

Whistleblower und kritische Journalisten sind in vielen EU-Ländern bedroht - einheitliche Schutzgesetze sind notwendig

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 6 Min.

Stéphanie Gibaud hat Angst, den Briefkasten zu leeren. Es könnte sich dort wieder eine Strafanzeige befinden, sagt sie der schweizer Wochenzeitung »Woz«. Einst organisierte sie als Marketingexpertin der UBS Bank dekadente Veranstaltungen für die oberen Zehntausend Frankreichs. Das Ziel war die reiche Elite mit Kundenberatern in Kontakt zu bringen. Diese halfen dann den Betuchten, das Geld auf Schweizer Bankkonten zu verstecken. Ihre Chefin forderte sie im Zuge der Finanzkrise auf, die Festplatte zu löschen. Die Bankangestellte verweigerte jedoch die Kooperation. Gibaud gab ihre Daten an die französischen Behörden. Ein Richter eröffnete daraufhin ein Verfahren gegen die UBS wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Die Bank soll laut Ermittlern über zwölf Milliarden Euro dem Staat entzogen haben, streitet die Vorwürfe aber ab. Heute lebt die alleinerziehende Mutter von Sozialhilfe, eine neue Anstellung hat sie bisher nicht gefunden.

Antoine Deltour traf es noch schlimmer. Der ehemalige Mitarbeiter der Beratungsfirma »Price Waterhouse Coopers« soll tausende Dokumente über die Steuervermeidungstricks von über 340 Großkonzernen aus mehr als 80 Ländern an einen Journalisten übergeben haben. Die Deutsche Bank, Ikea, Google oder Apple - alle großen Namen waren in den Daten zu finden. Laut dem »Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten« versteuerten einige der Unternehmen teilweise nur ein Prozent der transferierten Gewinne, Milliarden an Einnahmen gingen verloren. Der luxemburgische Staat war dabei ein eifriger Gehilfe. Deltour wurde zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung und einer Strafzahlung von 1500 Euro verurteilt. Diebstahl, Verletzung von Dienst- und Berufsgeheimnissen wurden ihm vorgeworfen. Im Berufungsverfahren im Dezember stand die Frage im Mittelpunkt, ob es sich bei ihm überhaupt um einen Whistleblower handelt. Das Urteil wird für März erwartet.

Nicht nur diese beiden Beispiele zeigen auf: Die Offenlegung von Korruption und Amtsmissbrauch kann die Existenz der Hinweisgeber zerstören oder diese ins Gefängnis bringen. In der EU gibt es jedoch Versuche, der unberechenbaren Rechtssprechung der Einzelstaaten etwas entgegenzusetzen. Jüngst trafen sich in Brüssel Medienexperten, um auf Einladung der europäischen Linksfraktion GUE/NGL eine Initiative für ein Whistleblowerschutzgesetz zu diskutieren. Neben der Hilfe für Geheimnisverräter ging es auch um die Frage, wie staatliche Eingriffe in öffentlich-rechtliche Rundfunksysteme verhindert werden können.

Fachliche Expertise für beide Themenkomplexe ist beim Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) zu finden. Die Organisation wurde 2015 mit dem Ziel gegründet, bedrohten Journalisten zu helfen und wird von der EU-Kommision gefördert. Sie betreibt ein Schutzhaus in Leipzig, in dem Medienschaffende bis zu einem Jahr Zuflucht finden können. Bisher wurde diese Möglichkeit von einer britischen Journalistin in Anspruch genommen, aktuell gibt es über 20 Bewerbungen. Die meisten kommen aus der Türkei und der Ukraine, so der Mitarbeiter Martin Hoffmann gegenüber »nd«.

Die Notwendigkeit eines Whistleblowerschutzgesetzes ist groß: Nach der »Globalen Betrugsstudie 2016«, die 2400 Fälle von Betrugs- und Steuerhinterziehungsdelikten in 114 Ländern untersuchte, wurden rund 40 Prozent ebendieser von Whistleblowern aufgedeckt. 2014 schätzte die Europäische Kommission, dass dem Staatenbund jährlich 120 Milliarden Euro durch Korruption verloren gehen. Aber auch aus einem praktischen Grund braucht es eine gemeinsame Lösung: Große Unternehmen agieren sowieso längst global und können durch Nationalstaaten kaum noch kontrolliert werden.

Ein mögliches Gesetz braucht laut den Experten des ECPMF eine breite Definition, wer überhaupt als Whistleblower gilt. Nicht nur Arbeitnehmer oder Behördenmitarbeiter sollen demnach darunter fallen, sondern beispielsweise auch Praktikanten. Zudem solle der Anwendungsbereich breit gesteckt werden: In den meisten Ländern wird nur »Korruption« als legitimer Grund erlaubt. Möglich wäre aber auch die »Verteidigung der Demokratie«, wie etwa der US-amerikanische Whistleblower Edward Snowden argumentiert hat. Schutz vor Repression müsse es zudem sowohl bei internem Whistleblowing geben, also innerhalb einer Organisation, wie auch über den Weg der Öffentlichkeit. Die Motivation der Geheimnisverräter, also ob sie etwa eine Bezahlung verlangen, sollte keine große Rolle spielen, fordert die Juristin Flutura Kusari.

Die europäische Linksfraktion plädiert dafür, dass es Anlaufstellen für Whistleblower in den Mitgliedsländern geben muss, in denen in Absprache mit den Hinweisgebern entschieden wird, wie der Fall begleitet wird. Die Niederlande verfügt bereits über solch ein Whistleblowerhaus. »Entscheidend ist, dass es eine Struktur vor der Staatsanwaltschaft geben muss, die den eigentlichen Schutz konkret anbieten kann«, sagt die LINKEN-Abgeordnete Martina Michels gegenüber »nd«. Die Einrichtung von nationalen Schutzhäusern in Kombination mit einer EU-einheitlichen, liberal gefassten Rechtssprechung könnte hierbei Geheimnisträgern in einer Ära der rechtspopulistischen Erfolge die notwendigen Sicherheiten geben, Straftaten der Wirtschafts- und Staatsspitze sichtbar zu machen.

Einen Anlauf für eine stärkere EU-Kontrolle soll es nach dem Wunsch der europäischen Linksfraktion auch im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geben. Das Europäische Zentrum für Presse und Medienfreiheit recherchierte dafür im Verlauf von 2016 in Polen und Kroatien. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass es dort politisch motivierte Kündigungen von Fernseh- und Radiojournalisten gab. Dies führte in der Konsequenz zu einer einseitigen, regierungstreuen Berichterstattung, so die Experten. In Kroatien wurde unter dem rechten Kulturminister der Intendant des öffentlich-rechtlichen Senders HRT entlassen und durch einen politisch loyaleren ersetzt. Die Regierung tauschte auch die Programmchefs der vier Fernsehsender und zahlreiche Redakteure aus. In Polen verlief es ähnlich: Durch das Anfang des vergangenen Jahres beschlossene Mediengesetz konnte die rechte Regierung Führungspositionen in den öffentlich-rechtlichen Medien selbst bestimmen.

Die EU befürwortet unter Berücksichtigung dieser gesamteuropäischen Kritik eine starke Riegerungs- und Staatsferne der öffentlichen Mediensysteme. Wie die erreicht werden kann, ist aber umstritten. Die europäische Linksfraktion fordert die Stärkung der ERGA, der Arbeitsgruppe der europäischen Regulierungsstellen für audiovisuelle Medien. Seit 2014 berät dieses Gremium bisher die EU-Kommission in Medienfragen. Von den staatlichen Behörden fordert Jane Whyatt, die Leiterin des ECPMF, mehr Transparenz bei Personalentscheidungen sowie eine finanzielle Absicherung der öffentlichen Medien. Dies alles müsse in der sogenannten Audiovisuellen Medienrichtlinie verankert werden, die zur Zeit überarbeitet wird. »Bei einer Umsetzung können die öffentlich-rechtlichen Medien dann auch zurechtgewiesen werden«, so die Expertin.

Solange die EU jedoch kaum effiziente Instrumente besitzt, um autoritäre Eingriffe der Nationalstaaten zu verhindern, sind die betroffenen Journalisten fürs Erste auf Solidarität angewiesen. Dazu zählt rechtliche, finanzielle sowie soziale Unterstützung. Auch Whistleblower müssen darauf zurückgreifen können. Schutzstrukturen wie das Programm des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit sind hierbei ein wichtiger Anfang. Mit der Gewissheit, nicht alleine zu sein, können Hinweisgeber wie Stéphanie Gibaud ihre Arbeit fortführen. »Es ist ein Beruf, mit dem du dein Leben verlierst«, sagt die ehemalige Bankangestellte gegenüber der »Deutschen Welle«. »Ich werde aber weitermachen und all jene verteidigen, die sich für die Wahrheit stark machen«.

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