Kündigung wegen sechs Euro Toilettenwertbons
Nicht vernichtete Gutscheine führten bei dem Raststättenbetreiber Tank und Rast zu einem dubiosen Arbeitskampf
Eigentlich hätte am Dienstag das Augsburger Amtsgericht ein Urteil fällen sollen. Die Causa: Eine Mitarbeiterin der Autobahn-Raststätte Augsburg Ost soll zwölf Toilettenwertbons im Wert von sechs Euro unterschlagen haben. Daraufhin hat ihr das Unternehmen Tank und Rast fristlos gekündigt, was die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) auf den Plan rief. Die Kündigung sei nur vorgeschoben, um die Mitarbeiterin loszuwerden, so ihre Vorwürfe. Für den Gerichtstermin war schon eine Protestkundgebung angekündigt. Die wurde jetzt überflüssig, das Unternehmen nahm die Kündigung einen Tag vor der Gerichtsverhandlung zurück.
Wer bei der Autobahnfahrt mal auf das Stille Örtchen muss, der wird zur Kasse gebeten - ohne Obolus gibt es an den Raststätten keine Erleichterung. Dafür bekommen die Kunden einen Bon im Wert von 50 Cent, den sie beim Einkauf einlösen können. Die Mitarbeiter an den Kassen sollen die eingelösten Wertbons sofort zerhäckseln, damit sie nicht mehr genutzt werden können. An einem Tag im Mai vor einem Jahr herrschte aber ein dermaßen großer Andrang, dass die Kassiererin mit dem Tippen kaum hinterher kam. Die Frau habe die Bons aus Zeitgründen einfach zur Seite gelegt, um sie später gesammelt zu vernichten, berichtet Tim Lubecki, Regionsgeschäftsführer der NGG in Schwaben. Den Gesamtbetrag von sechs Euro gab sie dann auch in die Kasse ein, damit der Kassenbestand stimmte. Ein Kunde informierte die Geschäftsführung von Tank und Rast, das Unternehmen kündigte der Frau sofort.
15 Jahre arbeitete die Mitarbeiterin an der Raststätte und wollte die Beschuldigungen nicht auf sich sitzen lassen, sie wehrte sich gegen den Vorwurf der Unterschlagung und die fristlose Kündigung. Ein Abfindungsangebot von 30.000 Euro lehnte sie ab, die Frau, Anfang 50, fürchtete, keinen anderen Job mehr zu finden. Dass die ehemalige Mitarbeiterin einen derart hohen Betrag angeboten bekommen habe, sei ungewöhnlich, so Lubecki. Er vermutet: Das Unternehmen wolle die Mitarbeiterin loswerden, denn sie würde als eine der Altbeschäftigten noch nach besseren Tarifverträgen mit 12,46 Euro brutto in der Stunde bezahlt. Wer heute bei Tank und Rast anfange, bekomme manchmal nur noch einen Cent mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 8,51 Euro, die Beschäftigten beklagten einen ständigem Druck auf die Löhne.
Dass jetzt die Kündigung von dem Unternehmen zurückgenommen wurde, »freut uns sehr«, so der Gewerkschafter. Er glaubt, die Firma hätte vor Gericht mit ihrer Kündigung keine Chance gehabt. Warum wollte das Unternehmen dennoch ein Urteil? »Das ging jetzt über ein Dreivierteljahr«, so Lubecki, »die wollten die Leute weichkochen, wollten, dass die Kollegin die Flinte ins Korn wirft«. Diese sei durch die Kündigung »brezelfertig« gewesen, habe sich geschämt. Den jetzt erzielten Vergleich führt er auf die Öffentlichkeitsarbeit der Gewerkschaft zurück.
Die Autobahnraststätten waren früher staatlich und wurden 1998 vom damaligen Verkehrsminister Franz Müntefering (SPD) privatisiert. Seitdem kommt das ehemalige Staatsunternehmen mit 390 Raststätten, 350 Tankstellen und 50 Hotels an Autobahnen nicht zur Ruhe, wird von einem Finanzinvestor zum nächsten weitergereicht. Zuletzt machte das Unternehmen Schulden, obwohl die Autobahn-Raststätten keine Konkurrenten fürchten müssen. Dafür sind die Spritpreise hoch und die Preise für Mahlzeiten und Getränke nicht eben billig. Und dass man dort für natürliche Bedürfnisse wie das Austreten zur Kasse gebeten wird, halten manche Besucher schlicht für Nötigung.
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