Schulz

Das Falsche standhaft und treu weiter zu tun, nur mit mehr Schwung, macht es nicht richtiger, meint Leo Fischer

»Die SPD ist ein Tanker«, sagen Sozialdemokraten oft nach Veranstaltungen, wenn man vorsichtig nach dem Sinn und Zwecke dessen fragt, was von ihrer Partei übrig ist. Meint also: schwer beweglich, kaum zu steuern, voll ekligem Kroppzeug und wenn sie platzen, sterben Menschen. Nur über diese Vorstellung ist es zu erklären, dass die Partei so lange an Sigmar Gabriel festgehalten hat - einem Vorsitzenden und Vizekanzler, dessen Richtungs- und Uferlosigkeit, ja totale Wurschtigkeit in nahezu jeder Sachfrage mit dafür verantwortlich ist, dass die Partei das historisch schlechte Ergebnis eines Frank-Walter Steinmeier noch unterbot.

Leo Fischer war Chef des Nachrichtenmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den 
liegen gelassenen Politikmüll.
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liegen gelassenen Politikmüll.

Amüsante Fußnote dazu ist, dass das im Wochenturnus rotierende Meinungsgeruder Gabriels der Partei jedes Mal nur geschadet hat, gleich, ob er mehr auf Rechts- oder Linksradikale zuging - wohingegen die Grünen inzwischen feststellen, dass es ihrer Wählerschaft letztlich gleichgültig ist, wofür sie stehen, es rüttelt nichts an ihrer Beliebtheit. Sie könnten morgen die Enthauptung aller Obdachlosen fordern; ihre Wählerschaft würde das als »klugen Kompromiss« bzw. »notwendigen Baustein für Schwarz-Grün« mittragen. Wohingegen die Sozialdemokratie eher zu den Enthaupteten gehört.

Jetzt also Schulz. Es ist schon ein bisschen bizarr, dass ein nur scheinbar neues Gesicht dazu ausreicht, die Umfragewerte der SPD in die Höhe schnellen zu lassen - so müde sind die Leute von den immer gleichen Personalrochaden, bei denen die immer gleichen alten Schröderianer - Steinbrück, Steinmeier, Gabriel zuvörderst - alle Jahre mal die Hüte tauschen. Man ist dieser erloschenen, totregierten Gesichter müde, die einem da seit schon fast 20 Jahren die Abendnachrichten verderben. Jeder einzelne von ihnen kommt einem vor wie der traurige, vom Alkohol zutiefst ruinierte alte Hausmeister, der jeden Morgen zu sinnlosen Arbeiten durch den Flur stolpert, dem aber niemand sagen möchte, dass seine Zeit gekommen ist.

Schulz, dem jetzt Meme und Internetcartoons im Stile der Wahlwerbung Obamas gewidmet werden, hat das Glück, dass die Leute seines Gesichts noch nicht ganz so überdrüssig sind wie bei anderen Gerontokraten. Inhaltlich steht er für dasselbe: für die nach Aftershave und Polyester müffelnden Turbomachos der 90er, die den Sozialstaat beschleunigen wollten und ihn erfolgreich vor die Wand gefahren haben. Was haben diese Leute denn noch zu melden? Sie haben keine Antworten, keine Hoffnungen; sie sind da, wo sie sind, weil sie jegliche Konkurrenz weggebissen haben. Die Personaldecke in den obersten Etagen der Partei ist dünn, kaum jemand kam in den letzten Jahren hinzu, kaum jemand ging. Eine sozialdemokratische Angela Merkel, die mal eben im Handstreich eine sklerotische CDU-Führung in Rente schickt, ist bei den Sozen nirgendwo zu sehen.

Schulz nun. Ein Name, so austauschbar wie seine Ansichten. Seine Mission, die SPD weiter an der Regierung zu halten und Schwarz-Grün zu verhindern, wird er wohl erfüllen. Erfolgreich wird er linke Bündnisse in den Ländern torpedieren helfen, wird die Linkspartei weiter dämonisieren und die Grünen letztlich korrekt als Rivalen um den Posten des Mehrheitsbeschaffers verstehen. Er wird Investorenrechte in den Innenstädten stärken und das Soziale schön an die Peripherie drängen; er wird die Notwendigkeit der Braunkohle und der Braunbären betonen, Schwulen und Schwarzen vertrauensvoll zuflüstern, dass ihre Zeit eben noch nicht gekommen sei, die Gleichberechtigung noch ein bisschen auf sich warten lassen wird.

In die Knesset wird er wohl nicht mehr eingeladen, aber er wird bestimmt regelmäßig mit verächtlichen Äußerungen zu Israel auffallen, denn die kosten nichts und werden in der ganzen Welt verstanden. Er wird der AfD nicht die Hand reichen und doch wie seine Vorgänger an der Festung Europa zimmern, an deren Mauern sich die Leichen weiter zu Tausenden häufen werden. Er wird nicht vergessen, dass an allen Problemen letztlich stets die USA schuld sind, und die hervorragenden Kontakte der SPD nach Moskau pflegen. Er wird wahrscheinlich keinen Dritten Weltkrieg anfangen (dazu fehlt der Ehrgeiz), aber die Aufrüstung Deutschlands weiter vorantreiben - das neue Ungleichgewicht in der NATO macht es nun eben leider nötig.

Er wird dafür sorgen, dass man sich schließlich sogar nach der müden resignierten SPD der späten Nullerjahre zurücksehnen wird - denn das Falsche standhaft und treu weiter zu tun, nur mit mehr Schwung, macht es nicht richtiger.

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