»Durch Trump steuern wir auf eine revolutionäre Situation zu«
Über eine Protestbewegung, in der Schwarze, FeministInnen, MigrantInnen und Indigene für das Leben kämpfen
Nach Trumps Amtseinführung demonstrierten Millionen Menschen auf dem »Women's March«. Mit welcher Legitimation? Er wurde schließlich gewählt.
Hier in New York und an der Westküste wurde Trump bestimmt nicht gewählt. Eher in den »Fly-over-States«: So nennt man die Staaten, die bei einer Reise von der einen progressiv geprägten Küste zur anderen überflogen werden muss.
Ganz schön arrogant.
Auf jeden Fall. Vieles, was in New York oder in den Medien diskutiert wird, hat mit der Realität in deindustrialisierten Gebieten wie etwa Michigan nichts mehr zu tun. Hier wurde Trump gewählt.
Woher nehmen die Demonstranten dann ihre Legitimation?
Von Anfang an galt Trump als nicht mandatiert. Clinton hat nummerisch mehr Stimmen geholt. Die Frustration über das Wahlsystem ist groß. Es ist zudem bekannt, dass in einigen Wahlbezirken der Schwarzen Bevölkerung das Wählen erschwert wurde. Aber delegitimiert hat sich Trump selbst: Etwa als er sagte, ein Mann dürfe sich eine »Pussy« einfach nehmen.
Wer hat den »Women's March« organisiert?
Zwei Frauen – eine in Hawaii, eine in Brooklyn – haben das mit einer Facebook-Veranstaltung losgetreten. Die ging dann viral und es entstand die größte Demonstration der letzten Jahrzehnte. Man muss wissen: Hier wird Facebook viel stärker genutzt. Viele Leute haben rund 2000 »Freunde«. Selbst die 80-Jährigen haben einen Account. Das ist ein mächtiges Tool.
Aber wer hat zum Beispiel die Plakate finanziert?
Verschiedene zivilgesellschaftlichen Organisationen. »Planned Parenthood« etwa hat sehr viel gespendet. Die NGO kümmert sich seit 100 Jahren um die medizinische Betreuung von Frauen: Schwangerschaft und Geburt, Schwangerschaftssabbrüche und auch Krebsvorsorge.
Beteiligen sich viele Migranten?
Wer ist in den USA nicht Immigrant? Der Einreisestopp geht gegen Muslime, aber betroffen fühlen sich alle. Ich selbst fühle mich auch bedroht. Das ist eine Volksbewegung. Sie geht über alle Generationen, Hautfarben, Geschlechter. Und sie ist hochpolitisch. Jeder dritte hat ein selbst gemaltes Protestschild in der Hand.
Wie bei occupy im Jahr 2011?
Es gibt Formen der occupy-Bewegung, die wieder auftauchen. Das »Human Mice« zum Beispiel, die Verstärkung eines Meinungsbeitrags in der Wiederholung durch die Menge. Oder das Händewedeln als Zeichen der Zustimmung. Und vielleicht gibt es bald ein Camp, das Washington belagert.
Der Einreisestopp war kaum in Kraft, da wurde bereits am New Yorker Flughafen protestiert. Wie hat das so schnell funktioniert?
Es gab einen Facebook-Post, und – zack! Innerhalb von zwei Stunden waren Tausende da. Dann ist der Protest über das ganze Land gefegt. Die gesamte Zivilgesellschaft ist hellwach und bereit, einzugreifen.
Wie kommt es, dass Sexismus fast als neuer Hauptwiderspruch auftaucht?
Der Hauptwiderspruch ist die Bedrohung des Lebens durch Trump. Es geht in dem Protest tatsächlich um Leben und Tod.
Das ist jetzt ein wenig übertrieben.
Nein. Trump bedroht das weibliche Leben durch Sexismus und Abtreibungsverbote. Er bedroht das Leben der American Natives auf ihrem Land durch die Dakota Access Pipeline. Wer in Irak oder Afghanistan für das US-Militär gearbeitet hat, etwa als Übersetzer, ist in Lebensgefahr, wenn er oder sie nicht in die USA gelassen wird. Um das Überleben geht es ebenso in der Klimabewegung. In der Black Lives Matter Bewegung. Und für die Juden.
Die jüdischen Gemeinden protestieren auch gegen Trump?
Steve Bannon, der Berater Trumps, stellt für die progressiven Gemeinden einen neuen Goebbels dar. Bannon ist durch und durch Antisemit. Er hetzt die Menschen gegen Juden auf.
Was macht Bernie Sanders?
Der ist überall mit dabei. Während Clintons Wahlkampf hat er sich zurück gehalten. Aber jetzt mischt er die Demokraten weiter auf. Versucht, junge Leute reinzuholen. Ich bin da skeptisch.
Warum?
Ob man die Machtclique der Demokraten knacken kann, weiß ich nicht. Viele der Jüngeren orientieren sich eher an Graswurzel-Gruppen. Die Frustration über das Zwei-Parteien-System ist riesig, eine Parteineugründung aber schwierig. Die Grünen brauchten Jahrzehnte, um auf den Stimmzetteln aufzutauchen.
Trump hatte ja versprochen, gegen das Establishment vorzugehen.
Und dann hat das Establishment Trump benutzt, um in die Regierung zu kommen: Im Kabinett sitzen Milliardäre, darunter ehemalige Mitarbeiter von Goldman Sachs. Rex Tillerson von Exxon Mobile ist Außenminister!
Was tun die Trump-Supporter? Sind die auch aktiv?
Es gibt handfeste Auseinandersetzungen, auch im Alltag. Ein weißer Typ im Café steht plötzlich auf und macht einen Latino an: »This is Trumpland and now go home, motherfucker!« Die denken jetzt, ihnen gehöre das Land. Aber die migrantische Community ist sehr stark und weiß ihre Rechte zu verteidigen.
Wie kämpft man in einem Land, in dem Rechte ausgehebelt werden?
Der ganze Kampf dreht sich um die Frage, ob bestehendes Recht und Rechtsprechung noch bestehen kann in den USA. Trump hat mit seinen Dekreten und der Entlassung der Justizministerin eine Verfassungskrise ausgelöst. Ähnlich wie unter Richard Nixon.
Wie meinen Sie das?
Präsident Nixon musste nach der Watergate-Affäre zurücktreten – unter anderem, weil er in die Justiz eingriff. Das versucht Trump auch. Es gibt eine konstitutionelle Krise. Der Staat gerät ins Wanken, die Märkte sind kurzlebig und schwankend, die Weltlage instabil. Gleichzeitig sind die Bewegungen in den USA sehr aktiv. Wir könnten auf eine revolutionäre Situation zu steuern.
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