Milieu und Vorurteil
Der Zentralrat der Juden beschwert sich über den Rapper Kollegah. Wie groß ist der Antisemitismus im HipHop?
Kollegah, mit bürgerlichem Namen Felix Blume, Jurastudent aus Hessen, ist der selbsternannte »Boss« des »Zuhälterraps« in Deutschland. Er rappt - wie genreüblich - über die Höhen und Tiefen des (imaginierten) Lebens in der organisierten Kriminalität und umgibt seine Kunstfigur gerne mit einem bosnischen Leibwächter namens Pasa. Sein Stil, der zwischen mal mehr oder weniger ironischen Beleidigungen, Selbstbeweihräucherung und technisch anspruchsvollen Reimketten pendelt, ist erfolgreich. Sein neuestes Album »Imperator« erreichte prompt Platz eins der deutschen Charts. Jüngst geriet der aus dem beschaulichen Friedberg stammende Rapper jedoch in das Zentrum einer Antisemitismusdebatte im deutschen HipHop. Seit den Anfängen der Subkultur kocht diese Debatte zu bestimmten Anlässen regelmäßig hoch.
Die Stadt Rüsselsheim hatte in diesem Fall auf den Wunsch von Jugendlichen Kollegah zu der staatstragenden Veranstaltung des »Hessentages« im Juni eingeladen. Mit anderen bekannten Rappern sollte er dort auftreten, wo Politiker den Erfolg und die angebliche Weltoffenheit des Bundeslandes preisen - Ausstellungsflächen der Bundeswehr und der Bundespolizei inklusive. Ein erster Widerspruch zwischen einer sich gerne als systemkritisch gebenden Kunstfigur und konkretem Handeln, könnte man meinen. Der ehemalige Labelbetreiber Marcus Staiger weist aber korrekterweise darauf hin, dass Kollegahs »Botschaft vom Stark- und Fit- und Erfolgreichsein« doch eigentlich ganz gut in diese Welt passt.
Die Stadtverordnetenversammlung sagte kurzfristig die Veranstaltung ab. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und weitere Organisationen hatten in einem Offenen Brief mit Verweis auf Kollegah die Stadt aufgefordert, dem Mann keine Bühne für »Hass, Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit« zu geben. Problematische Textzeilen wie »Ich leih dir Geld, doch nie ohne ›nen jüdischen Zinssatz mit Zündsatz« wurden zum Beweis angeführt. Pikant: Dieser spezielle Satz stammte nicht von Kollegah, sondern von seinem Rapkollegen Favorite.
Blume fühlte sich ungerecht behandelt und antwortete mit einem eigenen Offenen Brief an den Zentralrat der Juden. Er wies die Vorwürfe zurück und erklärte, die Textzeilen würden bereits Jahre zurückliegen oder seien nicht von ihm. Seine Kritiker hätten zudem das Wesen des »Battle-Rap« nicht verstanden. Blume verwies auf aktuelle Zeilen, die auch für ein Miteinander der Religionen eintreten würden. Seine Kritiker lud er zur Diskussion.
Der Rapper, der mit 15 zum Islam konvertierte, stellte selbst die Vermutung auf, dass der Offene Brief eher eine Reaktion auf eine »Wohltätigkeitsreise« sei, die er vergangenes Jahr in die palästinensischen Gebiete unternommen hatte. Seine Kunstfigur besuchte dafür eine Schule in einem Flüchtlingslager in Ramallah. In neokolonialistischer Manier inszenierte sich Kollegah dort als »Macher«, der die unterfinanzierten Räume im Alleingang ausstattete. Die Schule trägt jetzt seinen Namen. In der aus der Reise entstandenen »Dokumentation« waren recht einseitige israelkritische Betrachtungen zum Nahostkonflikt zu sehen. In der aktuellen Antisemitismusdebatte ging es so plötzlich auch um das Verhältnis von Islam und Rap.
Generell ist ein häufiger Fehler in der Debatte, dass viele Kommentatoren die Kunstfigur mit der dahinterstehenden realen Person verwechseln. Wahllos herausgepickte Zitate aus Texten geben nicht zwangsläufig Einsicht in möglicherweise vorhandene menschenverachtende Einstellungen. Es geht bei provokanten Aussagen um den Kontext und um die Einbettung. Werden provokante Zeilen durch folgende Aussagen ad absurdum geführt oder wird eine kohärente politische Ideologie transportiert? Rap ist geprägt von einem systematischen Normbruch, der aus Prinzip betrieben wird. Dies muss nicht unbedingt an eine diskriminierende Weltsicht gebunden sein, sondern kann eher etwas über die Herkunftsmilieus der Rapper und Rapfans aussagen.
Auch muss zwischen unterschiedlichen Formen des Raps unterschieden werden. Wird in einem Track eine klassische Geschichte erzählt oder handelt es sich um einen »Battlerap«? In dieser speziellen Form geht es per Definition darum, Gegner sprachgewaltig zu beleidigen und dabei zu überspitzen. Geschmacklosigkeiten sind hierbei die Regel. Witze auf Kosten einer Gruppe müssen nicht gleichbedeutend mit der Diskriminierung einer Gruppe sein. Auch muss die Alltagssprache der Künstler berücksichtigt werden. Dies soll verletzende oder reaktionäre Aussagen nicht relativieren, aber den Unterschied zwischen einer auf Empörung setzenden Aussage und einer sich Stereotype bedienenden Aussage aufzeigen. Die Zeile »Der Fernseher ist an, ich freu mich über Tote im KZ, die Vergewaltigung im andern Film ist auch ganz nett« des Rappers Taktlo$$ von der Gruppe Westberlin Maskulin ist so beispielsweise verstörend und vermeintlich »geschmacklos« - es wird aber kein direktes Weltbild vermittelt. Es ist eine pure Aneinanderreihung von Provokationen.
Daraus zu schließen, dass es keinen Antisemitismus im Rap geben würde und jegliche Aussage als geplante Grenzüberschreitung gedeckt wäre, ist dagegen ebenso falsch. Kollegah beispielsweise war bisher tatsächlich nicht mit entsprechenden Äußerungen aufgefallen. Aber Antisemitismus ist wie überall in der Gesellschaft auch im HipHop zu finden. Hier zeigt er sich weniger in den plumpen, direkten Provokationen, sondern mehr in Zeilen, die sich als gesellschaftskritisch und subversiv verstehen. Die klassischen Motive sind verschwörungstheoretische Texte sowie Tracks, die sich mit dem Nahostkonflikt auseinandersetzen und dabei Israel dämonisieren. Manchmal kommt auch beides zusammen. Die Ruhrgebiet-Rapper Fard und Snaga reihen in ihrem Stück »Contraband« beispielsweise die Schlagwörter »Kontra Netanjahu«, »kontra Tel Aviv«, »kontra Bank«, »kontra Zins« und »kontra Parasit« aggressiv aneinander. Ironie findet sich nicht, das antisemitische Feindbild ist umfassend.
Auch der Rapper Haftbefehl machte 2010 mit der Zeile »Du nennst mich Terrorist, ich nenne dich Hurensohn / Gebe George Bush ein Kopfschuss und verfluche das Judentum« keinen Hehl aus seiner Einstellung. »Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachsen. Da werden Juden nicht gemocht. Die gibt es hier auch nicht«, erklärte er in einem Interview mit der »Welt«. »Ich will Ihnen verraten, wie ein 16-jähriger Offenbacher tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch.« 2014 distanzierte sich Haftbefehl von antisemitischen Äußerungen und zeigte sich einsichtig. Schon ein Jahr später griff er jedoch in seinem Mixtape »Unzensiert« wieder auf die verschwörungstheoretische »Rothschildtheorie« zurück.
Auch im Hinblick auf den Einfluss des Islam gilt es zu differenzieren. Jugendliche mit arabischen oder türkischen Wurzeln identifizieren sich eher mit Rap als mit anderen Musikrichtungen. Bewusst islamistische Rapper sind dennoch die Ausnahme. Es bringt jedoch in den Fanmilieus Vorteile, wenn ein Künstler zur Abgrenzung und Provokation mit bestimmten Bildern spielt und sich als radikal inszeniert. »Viele Gangsta-Rapper in Deutschland fühlen sich von der Brisanz und Gefahr des Islamismus angezogen - und nicht vom Islam«, erklärt die Sprachwissenschaftlerin Reyhan Şahin in einem Interview mit dem HipHop-Magazin »Juice«.
Rap ist letztlich ein Spiegel der Gesellschaft. In ihm finden sich struktureller Antisemitismus, Sexismus, Verschwörungsideologien wie auch islamistische Versatzstücke. All das also, was es auch außerhalb des HipHop gibt. Die meisten umstrittenen Passagen sind jedoch gezielte Provokationen, die von Fans und Medien regelmäßig und einkalkuliert mit Aufmerksamkeit belohnt werden.
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