Die Evolution meldet sich zurück

Einsatz sogenannter Gene Drives schwieriger als gedacht. Von Bernd Schröder

  • Bernd Schröder
  • Lesedauer: 5 Min.

Den Regeln der genetischen Vererbung und natürlichen Auslese gemäß haben Gene normalerweise eine fünfzigprozentige Chance, über geschlechtliche Fortpflanzung an die Nachkommen weitergegeben zu werden. Hier greift das sogenannte Gene Drive ein: ein Prozess, der dafür Sorge trägt, dass ein gewünschtes Gen bevorzugt an die Nachkommen weitergegeben wird, selbst dann, wenn es zu weniger fitten Individuen führt. Das geht solange, bis die gesamte Population Träger des Gens ist - zumindest in der Theorie.

Gene Drives sind keine Neuheit, sie kommen auch in der Natur vor. Doch die Erfindung des Genbearbeitungsverfahrens CRISPR/Cas9 hat die Fähigkeit von Wissenschaftlern revolutioniert, maßgeschneiderte Änderungen am Erbmaterial von Organismen vorzunehmen. CRISPR ist ein molekularer Mechanismus, der an genau bezeichneten Stellen Schnitte an der Ziel-DNA vornimmt und einem veränderten Gen erlaubt, sich an dieser Stelle einzufügen. Der Mechanismus kann ins Genom von Lebewesen eingeschleust werden. Dieses Gene Drive führt dann in den nachfolgenden Generationen zur selbstständigen Vervielfältigung der Gen-Manipulation.

Viele Forscher hoffen, mit dieser Technologie eines Tages Populationen von Krankheiten übertragenden Insekten im Laufe weniger Generationen zu verändern oder zu unterdrücken. Bei der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sieht man das genauso und bescheinigt der Methode ein beträchtliches Potenzial bei der Bekämpfung der Malaria - so vielversprechend, dass das Budget für die Target-Malaria-Initiative auf 75 Millionen US-Dollar erhöht werden soll. Das wäre der bisher größte für Gene-Drive-Experimente zur Verfügung gestellte Betrag. 2015 hatten Forscher im Rahmen von Labor-Experimenten erstmals Gene Drives in Mücken eingeschleust. Bill Gates selber glaubt, dass die Technologie 2018 für eine breite Anwendung reif ist.

Wie das Wissenschaftsjournal »Nature« (Bd. 542, S. 15) berichtet, vollenden Forscher im mittelitalienischen Terni gerade den Bau von weltweit wahrscheinlich einzigartigen Mückenkäfigen. Die im Rahmen des Target-Malaria-Projekts entstehenden jeweils 150 Kubikmeter großen Gehege sollen die Lebensräume simulieren, in denen die Anopheles-Mücken Afrikas gedeihen. Durch das Studium der Insekten unter naturnahen Bedingungen wollen die Wissenschaftler besser verstehen, wie die Malaria-Überträger ausgerottet werden können. Das sollen dann Gene Drives für entsprechende Gene besorgen. 2015 hatten Forscher über ein CRISPR-Gene Drive berichtet, das eine Unfruchtbarkeitsmutation bei weiblichen Mücken bewirkte, die an alle ihre Nachkommen weitergegeben wurde.

Die Unterdrückung einer Art kann ungeahnte Folgen nach sich ziehen, wie etwa einen Anstieg in einer Population von Konkurrenten, die ebenso in der Lage sind, eine Krankheit wie Malaria zu übertragen. Die Zerstörung einer Population könnte über die Beeinflussung der natürlichen Wechselwirkungen zwischen den verschiedensten Lebewesen auch in anderen Teilen des Ökosystems unvorhergesehene Effekte auslösen.

Doch bevor es soweit ist, muss die Übertragung der Gene-Drive-Erfolge vom Labor auf die freie Wildbahn noch mit einigen unerwarteten Schwierigkeiten fertig werden. Denn Laborexperimente zeigten, dass die Ausbreitung der Mutation zwar wie angenommen zunächst über mehrere Generationen fortschritt, sich dann jedoch auch eine Resistenz gegenüber dem Gene Drive entwickelte. Dadurch blieb einigen Mücken das modifizierte Gen erspart.

Eine Ursache für diese Resistenz ist CRISPR selber. Die molekulare Schere verwendet ein Enzym, um die erkannte spezifische DNA-Sequenz zu schneiden und gewünschte genetische Codes an ihrer statt einzusetzen. Gelegentlich kommt es jedoch vor, dass Zellen den Schnitt reparieren, indem sie zufällige DNA-Buchstaben hinzufügen oder löschen. Das kann zu einer Sequenz führen, die das CRISPR-Gene-Drive nicht mehr erkennt. So wird die Ausbreitung des modifizierten Codes unterbrochen. Diese Art von Resistenz wurde auch von den Forschern am Biotechnologiezentrum von Terni bei einigen ihrer Mücken gefunden.

Ein anderer Weg, der zur Resistenz führen kann, ist die natürliche genetische Variation. Denn CRISPR-basierte Gene Drives funktionieren über die Erkennung von kurzen genetischen Sequenzen. Individuen mit Unterschieden an diesen Stellen wären immun gegen das Gene Drive.

Das »Anopheles gambiae 1000 Genomes Consortium« analysiert in einer aktuellen Studie die Genome von 765 wilden Mücken der Spezies Anopheles gambiae und Anopheles coluzzii, die von 15 verschiedenen Orten im subsaharischen Afrika stammen. Das Wissenschaftler-Team entdeckte komplexe Muster der Populationsstruktur und deutliche Unterschiede in der Größe lokaler Populationen, von denen sie einige zumindest teilweise auf Malaria-Kontrollmaßnahmen vor Ort zurückführen. Die angetroffene, außerordentlich hohe genetische Vielfalt schränkt potenzielle Ziele von Gene-Drive-Strategien zur Mückenbekämpfung von vornherein ein. Ganze Populationen ließen sich so jedenfalls nicht ausmerzen, glauben Wissenschaftler.

Unterdessen wurde auch gezeigt, dass Gene Drives zu genetischer Isolation in Populationen führen kann, wenn es Teilen ihrer Mitglieder gelingt, sich der Vererbung des veränderten genetischen Codes zu entziehen. Genvarianten, die die Neigung einer Population dämpfen, sich mit anderen Populationen zu vereinen, würden sich dann plötzlich als vorteilhaft erweisen und könnten sich verbreiten - wie zum Beispiel Populationen mit eingeschränkter Flugfähigkeit.

Den beteiligten Forschern ist bewusst, dass auch gegen Gene Drives Resistenzen unvermeidlich sind. Sie hoffen nun, die Begleiteffekte lange genug abfedern zu können, um eine gewünschte Mutation in eine vollständige Ziel-Population einzuschleusen. Es kursiert bereits die Idee der Schaffung von Gene Drives, die mehrere Stellen des gleichen Gens oder verschiedene Gene gleichzeitig verändern können, um so die Entwicklung einer Resistenz hinauszuzögern. Überdies soll nach möglichen Ziel-Genen gesucht werden, die bei allen Individuen auftreten.

Um die Ausbildung von Resistenzen zu verlangsamen, hat das Target-Malaria-Team eine zweite Generation von Gen-Mücken entwickelt. Die Forscher wollen sie in ihrer neuen italienischen Anlage noch in diesem Jahr testen, um Anhaltspunkte zu bekommen, wie sich die Mücken in freier Natur verhalten werden. Einige Forscher sind sich durchaus im Klaren darüber, dass ihnen die Evolution einen Strich durch die Rechnung machen könnte.

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