Neruda ist unser Goethe!

Regisseur Pablo Larraín über den chilenischen Dichter und Kommunisten Pablo Neruda

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Pablo Larraíns »No!« um den Volksentscheid zur Absetzung von Diktator Pinochet wurde 2013 als erster chilenischer Film für den Oscar nominiert. Zwei Jahre später gewann der 1976 in Santiago de Chile geborene Regisseur für »El Club« den Silbernen Bären der Berlinale. Damals kündigte er bereits seinen neuen Film »Neruda« an. Der Regisseur erzählt von der Entstehung des »El Canto General«, das auf der Flucht des Dichters vor der Junta Ende der 1940er Jahre entstand. Er verdichtet die Verfolgung Nerudas (Luis Gnecco) durch Hunderte Spitzel zu einem Duell mit einem ehrgeizigen Polizisten (Gael García Bernal) .

Warum nun ein Blick auf Neruda?
Er ist unser Goethe! Ganz egal wen man in Chile nach Neruda fragt, die Menschen sind fasziniert von seinem grandiosen literarischen Werk und seiner Persönlichkeit. Er war ein Genussmensch, liebte die Frauen, kochte gut, reiste viel, sprach mehrere Sprachen und hatte viele Freunde. Er war Politiker und Kommunist. Aber vor allem hat niemand Chile so gut beschrieben wie er. Wenn er ein Gedicht veröffentlicht hat, reagierten Publikum, Politiker und die Zensur. Und heute? Schreiben sie ein Gedicht über Merkel oder Trump, es sorgt für einen kurzen Aufreger und ist bald vergessen. Künstler und Philosophen haben ihren Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs eingebüßt.

Wie entstand die Idee, einen fiktiven Polizisten Neruda auf Nerudas Fährte zu setzen?
Man kann Nerudas reiches Leben nicht in einen Film packen. Daher suchten wir nach einem Schlüsselmoment. Der Autor Guillermo Calderón schlug dann den künstlerischen Kniff vor, die Verfolger Nerudas in einer Person zu bündeln. So wurde es ein Film über Nerudas Kosmos, die Freiheit des Künstlers und die Atmosphäre im Land.

Wie haben Sie die Figur des Polizisten entwickelt?
Er ist zunächst der Gegenpol. Neruda war ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft, der Polizist war es nicht. Er liest niemals seine Gedichte, kommt ihm aber so nahe, dass er sich dem Sog von Nerudas Poesie und Persönlichkeit nicht entziehen kann. Es hat etwas Magisches, wie ein Faschist erblüht, wie sich sein Denken langsam durch die Konfrontation mit dem potentiellen Opfer ändert.

Wobei man den Eindruck hat, die Regierung wollte Neruda einschüchtern, aber nicht töten?
Über diese These des Films wurde in Chile heftig diskutiert. Die Menschen, die Neruda auf der Flucht geholfen haben, haben uns heftig kritisiert. Aber welches Ziel hatte der Haftbefehl? Wollte die Regierung einen Superstar der Literatur ins Gefängnis werfen? Das hätte es einen internationalen Aufschrei verursacht. Daher denke ich, sie haben ihn gejagt, um seine Freunde und Förderer auszuschalten. Er sollte isoliert werden und ins Ausland verschwinden.

So wie man ihn nach dem Putsch von 1973 auf die Isla Negra verbannen wollte?
Nach der Premiere des Films in Chile wurde heftig über die Umstände seines Todes wenige Tage nach Pinochets Machtergreifung gestritten. Es wird ja seit langem spekuliert, dass Neruda umgebracht wurde. Ich wünsche mir das nicht. Es wäre schrecklich, dass auch er ein Opfer von Pinochet war.

Stimmt es, dass Pinochet rund 20 Jahre zuvor ein KZ-ähnliches Gefängnis leitete?
Ich war selbst überrascht, als ich das herausfand. Ich bezweifele, dass Salvador Allende davon wusste. Sonst hätte ihn eine linke Regierung unter Beteiligung der Kommunisten nie mit einer militärischen Spitzenposition betraut.

Unverwechselbar sind Nerudas Stimme und sein Sprechrhythmus. War es schwer, dies nachzustellen?
Neruda ist Chiles Bob Dylan! Jeder kennt den Klang und die Modulation seiner Stimme. Für den Film mussten wir sie nachstellen. Ich bin froh, dass wir das hinkriegten. Luis Gnecco imitiert ihn nicht, er erfindet ihn neu und kreiert die Illusion, er wäre wieder auferstanden. Nicht zuletzt hat die Stimme auch den Rhythmus des Films vorgegeben und treibt die Figuren voran.

Zieht es Sie jetzt nach Hollywood oder bleiben Sie der Chronist der chilenischen Geschichte?
Es gibt aber keine konkreten Pläne. In mir muss zunächst die Leidenschaft für die Figuren geweckt sein. Daher kann ich eines ausschließen. Ich werde niemals einen Film über Pinochet inszenieren. Ihn in diesem Film zu entdecken, ist Schock genug. Für die Leute in Chile ist sein Auftritt jedoch das komödiantische Highlight. Sie lachen ihn aus. Ich weiß noch nicht, ob ich darüber glücklich bin. Das Lachen sollte im Halse stecken bleiben.

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