Verdrängung: Designerbrillen statt Bücher in der Oranienstraße

Der Kreuzberger Traditionsbuchladen »Kisch & Co« muss Ende Mai wegen einer Mieterhöhung schließen

  • Yves Bellinghausen
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist kurz nach zwölf, ein Mittwoch. Der Kreuzberger Buchladen »Kisch & Co« hat noch keine Stunde geöffnet, aber über mangelnde Kundschaft kann sich Betreiber Thorsten Willenbrock nicht beklagen. Zum 31. Mai wird er seinen Buchladen in der Oranienstraße trotzdem schließen müssen. Der aktuelle Mietvertrag läuft aus - nachdem der Buchhändler in den vergangenen Jahren immer wieder Mieterhöhungen hinnehmen musste, kann er nun die jüngste Forderung des Eigentümers »Berggruen Holdings« nicht mehr stemmen.

Von 17 Euro auf 20 Euro Kaltmiete sollte der Quadratmeterpreis steigen. Ein »faires Angebot« nennt die Holding das auf »nd«-Anfrage. Der geschäftsführender Inhaber Nicolas Berggruen wurde durch die Übernahme der Warenhauskette Karstadt im Jahr 2010 bekannt und infolge seines dortigen Gebarens nicht unbedingt beliebt. Andernorts stiegen die Mieten noch viel stärker, so die Holding. Für »Kisch & Co« ist das kein Trost: »Wir sind einfach an einem Punkt angekommen, wo wir die Preissteigerungen nicht mehr tragen können«, sagt Willenbrock. Der 52-Jährige hatte seinem Vermieter Gegenangebote gemacht - erfolglos. Der Nachmieter steht schon fest. Anstelle von Büchern wird bald der edle Brillenhändler »Ace & Tate« Sehhilfen teurer Marken verkaufen.

Bei den Nachbarn stößt der Wechsel von Lesestoff auf Lesehilfen auf Verärgerung. Manche fragen sich schlicht, wo sie jetzt ihre Bücher herbekommen sollen. Schließlich ist »Kisch & Co« seit 20 Jahren eine Kreuzberger Institution. Andere ärgern sich über die um sich greifende Gentrifizierung. »Die Geschäfte in Kreuzberg bieten nicht mehr an, was die Bevölkerung braucht, sondern was die Touristen wollen«, sagt auch Willenbrock. Den Satz hat er auf einer Demonstration gegen Verdrängung aufgeschnappt und sich angeeignet. »In ein paar Jahren wird diese Straße ganz anders aussehen.« Er kenne alleine in der Oranienstraße aktuell drei Geschäfte, die wegen Mieterhöhungen schließen müssen.

Er und einige Nachbarn haben sich deshalb dem »Bündnis Zwangsräumung verhindern« angeschlossen - eben weil die Gentrifizierung kein Einzelfall ist. »Dass wir ausziehen müssen, ist mittlerweile endgültig«, sagt Willenbrock. »Aber die sollen mit uns noch zu tun haben.«

Auch in den Medien schlägt der Fall »Kisch & Co« Wellen - doch trotz der Aufmerksamkeit, die der Fall erzeugt, ist die rechtliche Situation klar. »Wir haben da keine Handhabe«, sagt Pascal Meiser, Bezirksvorsitzender der LINKEN in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitglied des Abgeordnetenhauses. Die Partei unterstützt »Kisch & Co« auf Demonstrationen und bekundet Solidarität. Meiser sagt: »Mehr können wir im Moment nicht tun, als dem Optiker klarzumachen, dass sie Persona non grata im Viertel sind.« Solche Proteste hätten beispielsweise auch den Verkauf der »Lause« und damit die Verdrängung der Mieter und Gewerbetreibenden in der Lausitzer Straße 10 & 11 verhindert. Regulierungen der Gewerbemieten seien auf Landesebene allerdings nicht durchsetzbar - das sei Bundessache.

Doch selbst eine Regulierung von Gewerbemieten hätte laut Willenbrock nur bedingten Erfolg. »Das Problem ist das Eigentum«, sagt er. Solange die Immobilien auf dem freien Markt seien, bleibe das Problem bestehen. Eine nachhaltige Lösung sei, wenn das Land, Genossenschaften oder sogenannte Miet-Syndikate Vermieter würden, sagt Willenbrock. Beispiele gibt es in Berlin genug - die meisten Projekte wurden in den 80er und 90er Jahren gegründet. Dass Genossenschaften neue Immobilien kaufen, wird jedoch immer unwahrscheinlicher: wegen der hohen Immobilienpreise.

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