Zwischen Apokalypse und Revolution
Laurie Anderson als zweifelnde Seherin im Haus der Kulturen der Welt
Ein Aufatmen. Nicht nur böse Dinge kommen aus den Vereinigten Staaten. Laurie Anderson, die Elektronik-Poetin mit E-Violine und Stimmenmodulator, kam mal wieder mit einer Herzen und Seelen erwärmenden Performance nach Berlin. Ihr erster Auftritt in dieser Stadt, so erinnerte sie sich, fand vor vielen Jahren im Rahmen eines Jazz-Festivals statt. Jazz spielte sie schon damals nicht. »Mitten in der Performance forderte dann aber jemand Jazz. Und ich bekam einen Schreck. Denn der Mann hatte ja Grund zu seiner Forderung. Aber ich konnte keinen Jazz«, erzählte sie - und hatte, jetzt, die Lacher auf ihrer Seite. Hätte diese Erzählung bei manch anderem Künstler arg selbstverliebt gewirkt, so passte sie bei Anderson ins narrative Konzept. Denn es ging ihr um Identität, um das Aufzeigen der Fragilität von Identität und um die Beobachtung, nirgendwo richtig dazuzugehören. Nicht zum Jazz, und nicht zum Amerika dieser Tage.
Gut, inzwischen besetzt die diesen Juni 70 Jahre alt werdende Performerin keine Außenseiterposition mehr. Ins Haus der Kulturen der Welt kamen Leute, für die Anderson eine zentrale Künstlerfigur ist. Wie bei einer Messe wurde jedes Wort, jeder Bogenstrich, jede Stimmmodulation aufgenommen. Nicht immer durfte man sicher sein, dass die Kunst des Zweifels, die Anderson so virtuos betrieb, auch das rechte Echo fand. Zu stürmisch war die Begeisterung, als Anderson erzählte, wie sie als Mädchen zwei Jahre lang nach einem Unfall vom Sprungturm im Schwimmbad im Krankenhaus lag und dem ganzen System von Zuwendung und aufdringlicher Betreuung ausgesetzt war. Sie befragte in diesem Zusammenhang ihre Erinnerung auf Lücken und stieß darauf, dass unsere Erzählungen dazu dienen, uns selbst zu betrügen. Erinnerungen verfestigen das, was wir schmerzfrei erinnern können; sie sparen das Unangenehme aus und führen uns auf falsche Fährten, lautete ihre Schlussfolgerung. Kann man da jauchzen und wild mit den Händen klatschen? Fanbefindlichkeiten sind ein weites Feld.
Anderson erinnerte an die grundlegenden Zweifel, die man beim Gebrauch von Sprache haben muss. Das stammt aus der diskursiven Hochkultur der 60er, 70er und frühen 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, weit vor der Selbstgerechtigkeit derer, die ein Wahrheitsmonopol gepachtet zu haben glauben, und auch weit vor der Dreistigkeit jener, die Lügen als »alternative Wahrheiten« etikettieren.
Subtil erinnerte die New Yorker Künstlerin daran, dass Donald Trump ein echtes Kind US-amerikanischer Politikkultur ist. Als sie einmal John F. Kennedy nach Tipps fragte, wie man eine Wahl gewinnt, ließ der ihr mitteilen: »Erzähle immer das, was die anderen hören wollen.« Anderson hielt sich daran und gewann eine Wahl in der Schule. Kennedy zog ins Weiße Haus ein - und schickte Anderson Blumen. Erzähle, was die anderen hören wollen - Populismus ist nicht die Erfindung Donald Trumps.
Anderson lieferte ein melancholisches Konzert mit düster-gewaltigen E-Geigentönen, künstlich verfremdetem Gesang und immer wieder kleinen Narrationen. An der Projektionswand war eine schwarze Tafel mit vielen Wischspuren und wechselnden Aufschriften zu sehen. Vom Ende der Imperien war die Rede, von der Apokalypse und der Revolution. Vor allem aber von der Müdigkeit.
Anderson wirkte ratlos in diesen von extremen Reizen, extremen politischen Standpunkten und extrem auseinanderstrebenden Lebensentwürfen geprägten Zeiten. Sie machte aus ihrer Ratlosigkeit kein Hehl. Sie hielt vielmehr inne, mit den Mitteln, die ihr eigen sind. Eben der E-Violine, der Stimme, der Modulationstechnologie. Sie verschaffte eine Ruhepause. Das war etwas paradox. Denn einst waren die Mittel, die Anderson benutzte, vor allem die Experimente mit den Stimmverzerrern, ein Blick in die Zukunft. Anderson war, auch, Technopoetin. Jetzt ging der Blick nicht voraus, sondern zurück. Ihre Perspektive glich der von Walter Benjamins Engel der Geschichte, der in die Zukunft geblasen wird und bei aller Vorwärtsdynamik nur die Trümmer der Vergangenheit sieht.
Sie sieht bei diesem Blick zurück auch sich selbst, wie sie verzweifelt in Handbüchern blättert, um ihre komplexen Soundinstallationen zu beherrschen. Sie träumt davon, das zu vereinfachen, Stand-up-Comedian zu werden - nur sie, ein klassisches Mikro und das Publikum. Das macht sie dann doch nicht. Aber die Sehnsucht nach weniger technischen Welten ist da - pikanterweise im Rahmen des Medienkunstfestivals Transmediale, in das der Auftritt eingebettet war.
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