Wo man Sturmfluten ordern kann

Im Wellenkanal zu Garbsen bereitet das Land Niedersachsen Küstenschutzprojekte vor

  • Christina Sticht, Hannover
  • Lesedauer: 3 Min.

In Garbsen bei Hannover in Niedersachsen zwischen Mittellandkanal und Autobahn 2 hat schon häufiger eine Sturmflut getobt. Gut 200 Kilometer von der Nordseeküste entfernt simulieren Wissenschaftler im Großen Wellenkanal des Forschungszentrums Küste alle Arten von Seegang. Die Anlage mit einem gut 300 Meter langen, fünf Meter breiten und sieben Meter tiefen Becken zählt zu den größten ihrer Art weltweit. Bei einer der ersten simulierten Sturmfluten sei das Wellblechdach von den Wellen weggeschlagen worden, erzählt Betriebsleiter Stefan Schimmels. Seitdem werde bei Versuchen mit hohen Wogen das Dach vorsorglich teilweise abgebaut.

An diesem Tag ist jedoch keine spektakuläre Brandung zu erwarten, denn es geht um einen Fluss. Ein Verbund aus Unternehmen aus den Niederlanden testet alternative Materialien für den Deichbau. Für das Experiment wurden rund 100 Tonnen Bodenmaterial per Sattelschlepper von der Maas in der Provinz Limburg ins Forschungszentrum Küste gebracht. Der gängige Deichbaustoff Klei sei nicht mehr überall baustellennah zu bekommen, erklärt Peter Geisenhainer, Berater von der beteiligten Firma Fugro. »Es ist auch nachhaltiger, das Material von vor Ort zu verwenden.« Das Maas-Projekt habe Pilotcharakter und könne später auf andere Flüsse übertragen werden.

Im Großen Wellenkanal sind etwa fünf dieser aufwendigen Projekte pro Jahr möglich, nur zehn bis 20 Prozent davon sind externe Auftragsforschung. Auch das Land Niedersachsen bereitet hier Küstenschutzprojekte vor, etwa die Neugestaltung der Deckwerke auf der Nordseeinsel Norderney. Für die geplante Sanierung der Schutzwälle auf Wangerooge sei ebenfalls im Wellenkanal geforscht worden, berichtet der Sprecher des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, Achim Stolz.

Angesichts des weltweiten Klimawandels und des Anstiegs des Meeresspiegels wird der Küstenschutz immer wichtiger. Die Versuchsanlage in Hannover ist bis Ende 2018 ausgebucht. Spätestens danach sei eine Erweiterung und Modernisierung geplant, sagt Betriebsleiter Schimmels. Schon in der Vergangenheit wurde die Messtechnik unter anderem um Videotechnik sowie 2D- und 3D-Laserscanner ergänzt.

Das Forschungszentrum wird gemeinsam von der Universität Hannover und der TU Braunschweig betrieben. Seit dem Bau 1983 kamen immer neue Forschungsfelder hinzu. Ein großes Thema ist beispielsweise die Standfestigkeit von Offshore-Windkraftanlagen. Der Transport von Sand im Wasser könne bisher weder in Versuchen mit kleinerem Maßstab noch in Computersimulationen exakt bestimmt werden, sagt Schimmels.

Beim Küstenschutz und Deichbau gewinnen zudem natürliche Materialien an Bedeutung. So wurden für ein Experiment 200 Quadratmeter Salzwiese aus dem Wattenmeer in den Großen Wellenkanal transportiert. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Iris Möller von der University of Cambridge lieferte den Beweis, dass selbst schmale Salzwiesen Wellenhöhen während einer Sturmflut um fast 20 Prozent reduzieren. Ein Nachfolgeprojekt untersucht jetzt, wie mit Hilfe von abbaubarem künstlichem Seegras bedrohte Seegräser etwa in der Nordsee wieder angesiedelt werden könnten. dpa/nd

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