Ich lauf vom Nordpol zum Südpol zu Fuß
Der Extremsportler Robby Clemens will in den nächsten zwei Jahren 25 000 Kilometer zurücklegen
Robby Clemens startet am 9. April am Nordpol, im Februar 2019 soll die Tour am Südpol enden. Der 55-Jährige aus Hohenmölsen in Sachsen-Anhalt ist gelernter Gas-Wasser-Installateur. 2007 lief er in 311 Tagen über 13 262 Kilometer durch 27 Länder auf vier Kontinenten um die Erde. 2014 und 2016 war er Ehrenkapitän des nd-Teams beim Rennsteiglauf. Neben dem intensiven Training hält er Vorträge und arbeitet als Motivationscoach. Mit dem Extremsportler sprach Heidi Diehl.
Der Nordpolmarathon ist ein Laufwettbewerb über die Marathondistanz von 42,195 Kilometer. Er findet jährlich Anfang April in der Nähe des Nordpols auf dem zugefrorenen arktischen Ozean statt. Als erster Nordpolmarathon gilt der Lauf des Iren Richard Donavan am 5. April 2002, der die Strecke an diesem Tag allein lief.
Am 17. April 2003 fand der erste Nordpolmarathon mit mehreren Teilnehmern statt. Zehn Läufer gingen an den Start, darunter eine Frau, die US-Amerikanerin Mary Ritz. Im Jahr 2004 musste der Marathon wegen Streitigkeiten zwischen französischen und russischen Offiziellen abgesagt werden. Danach fand er wieder jährlich statt.
Der Nordpolmarathon ist der weltweit einzige zertifizierte Marathon, der nicht auf Land, sondern auf einem zugefrorenen Gewässer gelaufen wird; er ist zudem durch die Guinness World Records Company als nördlichster Marathon der Welt registriert. Der Lauf findet bei Temperaturen zwischen -30 und -40 Grad Celsius statt. Der Streckenrekord der Männer liegt bei 3 Stunden 36 Minuten und 10 Sekunden, aufgestellt vom Iren Thomas Maguire im Jahr 2007. Der Rekord der Frauen liegt bei 4 Stunden 52 Minuten und 45 Sekunden, aufgestellt von der Deutschen Anne-Marie Flammersfeld im Jahr 2014. Der bisher älteste Teilnehmer war 2016 der 78-jährige Franzose Michel Ribet.
Zum Schutz der Läufer vor Eisbären stehen mit Gewehren bewaffnete Posten an der Laufstrecke.
In diesem Jahr findet der Nordpolmarathon am 9. April statt.
Frank Schöbel hat nur davon gesungen, Sie aber tun es und laufen vom Nordpol zum Südpol zu Fuß. Warum?
Ich erfülle mir damit einen langen Traum. Seit fünf Jahren trainiere ich intensiv dafür.
Aber ein bisschen verrückt sein muss man schon. Schließlich sind Sie ja mit 55 kein junger Hüpfer mehr.
Vielleicht, aber vor allem muss man gut trainiert sein. Viele meiner Freunde nennen mich auch den German Forrest Gump. Der konnte auch nie erklären, warum er unentwegt rennt. Er hatte einfach Spaß daran, genau wie ich. Ich liebe es, zu laufen und meine Grenzen auszuloten.
Schon immer?
Nein, angefangen habe ich damit erst 1997 aus einer schier ausweglosen Situation heraus. Ohne das Laufen wäre ich vor die Hunde gegangen und würde vielleicht heute nicht mehr leben.
Was war passiert?
1986 machte ich mich als Gas-Wasser-Installateur selbstständig. Das Geschäft lief gut. Anfang der 90er Jahre hatte ich mehr als 100 Mitarbeiter und volle Auftragsbücher. Dann kam die »Schneider-Pleite«, die auch meinen Betrieb voll erwischte. Mehr als zwei Millionen Mark verlor ich, musste Konkurs anmelden, alle entlassen, und auch meine Eltern, die mit ihrem gesamten Vermögen für mich gebürgt hatten, verloren alles. Ich konnte einfach nicht damit leben, was ich meiner Familie angetan habe, und begann extensiv zu trinken und zu rauchen.
Und dann?
Es folgte der totale Absturz. Bald schon war ich schwer alkohol- und nikotinabhängig, hatte 30 Kilo zugenommen und war ein körperliches und geistiges Wrack. Als ich 1997 nach einem Sturz im Suff zum Arzt musste, sagte der mir ganz deutlich, dass meine einzige Überlebenschance eine sofortige Entziehungskur ist.
Die Sie ja offensichtlich erfolgreich geschafft haben.
Ich habe gar nicht erst damit angefangen. Ein Freund erzählte mir von einem Bekannten, der sich durch Laufen aus dem Sumpf gerettet hat. Da mir das einfacher als eine Entziehungskur mit vagem Erfolg erschien, kaufte ich Laufschuhe und rannte los.
Hört sich ziemlich problemlos an.
Es war alles andere als problemlos. Nach einer halben Runde auf dem Sportplatz war ich fix und fertig. Trotzdem bin ich am nächsten Tag wieder los, nach zwei Wochen schaffte ich zwei Runden, was sich anfühlte, als wäre ich einen Marathon gelaufen.
Wie lange dauerte es denn bis zum ersten wirklichen Marathon?
Zwei Jahre. Stück für Stück legte ich die Messlatte höher, lief erst fünf, dann zehn Kilometer. Nach acht Monaten hatte ich nicht nur 45 Kilo abgespeckt, sondern auch neuen Lebensmut gewonnen. Ein Jahr, nachdem ich mit dem Saufen aufgehört hatte, lief ich meinen ersten Halbmarathon, 1999 den ersten Marathon. Im Training merkte ich, dass ich auch locker 50 Kilometer und mehr am Tag schaffe, und so kam die Idee, für Charityprojekte zu laufen.
Wofür zum Beispiel?
Das erste Mal 2001 »nur« 500 Kilometer für ein Kinderkrebsprojekt, 2003 lief ich von Basra nach Bagdad und sammelte Spenden für irakische Kinder, die Opfer des Krieges geworden waren. 2004 ging es über 1800 Kilometer von Athen nach Salzburg für die Salzburger Kinderkrebsgesellschaft. Je weiter ich lief, desto stärker wuchs die Lust auf mehr.
Nämlich?
Auf eine Weltumrundung. Diesen Traum erfüllte ich mir dann 2007. Ein Jahr lang lief ich 13 262 Kilometer durch 27 Länder auf vier Kontinenten. Doch statt glücklich und zufrieden zu sein, fiel ich danach in ein tiefes Loch.
Das müssen Sie schon etwas näher erklären.
Nach einem Jahr täglichem Laufen voller interessanter Begegnungen habe das Ankommen nicht verkraftet. Ich saß zu Hause und verfiel in Depressionen. Aus dem Loch geholfen haben mir meine Familie und Psychologen. Sie rieten mir, ein neues Ziel zu setzen. Und so wuchs langsam die Idee, vom Nordpol zum Südpol zu laufen. Das hat vor mir noch niemand versucht.
Seit Ihrer Weltumrundung arbeiten Sie neben dem täglichen Lauftraining auch erfolgreich als Motivationscoach und haben ein Buch geschrieben.
Beides war und ist mir wichtig. Mit meinen Vorträgen möchte ich dazu beitragen, andere zu motivieren, sich mehr zu bewegen. Vor allem aber will ich am eigenen Beispiel zeigen, dass es möglich ist, aus eigener Kraft aus schier ausweglosen Situationen herauszufinden.
Für die nächsten zwei Jahre ist nun erst mal Schluss mit Vorträgen. Am 5. April fliegen Sie zum Nordpol, um das Rennen Ihres Lebens zu starten. Sind Sie gut vorbereitet?
Ich kann es kaum noch abwarten, am liebsten würde ich noch heute losfliegen. Ich habe hart trainiert, fühle mich fit für die Herausforderungen. In den letzten Wochen habe ich mich vor allem intensiv auf die besonderen Bedingungen in Schnee und Eis in der Arktis vorbereitet.
Wie haben Sie das gemacht?
Neben dem Lauftraining trainierte ich in einem Höhenlager in Kärnten, auf Skiern und Schneeschuhen schwere Lasten zu transportieren. Denn durch die Arktis und Grönland werde ich meine gesamte Ausrüstung auf einem Pulka-Schlitten hinter mir herziehen. Bei Wind und Wetter und extremen Minusgraden wird das sicher alles andere als ein Zuckerschlecken.
Bevor Sie sich auf den 25 000 Kilometer langen Weg Richtung Südpol begeben, steht noch eine besondere »Trainingseinheit« an.
Ja, ich werde am 9. April am Nordpolmarathon teilnehmen, einem der härtesten Läufe der Welt.
Danach geht es gleich los in Richtung Süden?
Nein, einen Monat lang wird mich ein norwegisches Spezialteam für die vierwöchige Durchquerung Grönlands fit machen, die am 10. Mai beginnt. Einer der Outdoorprofis begleitet mich dann auch auf der vierwöchigen Grönlanddurchquerung, denn allein wäre es dort zu gefährlich.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf die Menschen, denen ich unterwegs begegne, aber auch auf viele Sehenswürdigkeiten, die ich nur von Fotos und aus Filmen kenne. Mir geht es nicht um irgendwelche Rekorde, sondern darum, die Welt mit allen Sinnen unter die Füße zu nehmen.
Gibt es Orte, die Sie unbedingt sehen wollen?
Viele, die Niagarafälle zum Beispiel oder New Orleans. Auf jeden Fall will ich in Boston zum Denkmal für die Opfer des Terroranschlags während des Boston-Marathons 2013. Eigentlich aber bin ich für alles offen, lasse mich einfach überraschen.
Wie lange werden Sie täglich unterwegs sein?
Geplant ist, täglich im Schnitt einen Marathon zu laufen.
Wenn alles nach Plan läuft, erreichen Sie am 25. Februar 2019 den Südpol. Und dann?
Dem tiefen Loch habe ich diesmal vorgebeugt. Ich werde ein Buch über die Tour schreiben und auch ein Kinderbuch. Außerdem beginnt schon kurz danach eine Vortragstour. Auch ein Termin bei »neues deutschland« ist bereits fest eingeplant, schließlich ist es auch meine tägliche Zeitung.
Jetzt aber erst einmal: toi, toi, toi und viel Glück auf dem langen Weg!
Herzlichen Dank, wir hören voneinander.
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