Merkel um Deeskalation bemüht
Bundeskanzlerin versucht, Streit mit der Türkei zu schlichten
Wahlkampfauftritte türkischer Politiker gab es in den vergangenen Jahren einige. Schließlich leben in Deutschland rund 1,4 Millionen Türken, die auch in ihrem Heimatland wählen dürfen. Kaum jemand schien sich bislang daran zu stören, wenn türkische Spitzenpolitiker vor ihren Anhängern in Deutschland redeten. Doch diese Toleranz droht nun verloren zu gehen. 91 Prozent der Deutschen lehnen laut einer Umfrage des ARD-Deutschlandtrends solche Wahlveranstaltungen ab.
Es gebe derzeit »tiefgreifende Differenzen zwischen der Europäischen Union und der Türkei, zwischen Deutschland und der Türkei«, sagte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einer Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag. Dabei seien »ganz grundsätzliche Fragen von Demokratie und Recht« berührt. In der Tat ist es kein herkömmlicher Wahlkampf, den die Türkei nach dem Putschversuch im vergangenen Juli führt. Schließlich stimmen die türkischen Wähler am 16. April in einem Referendum über eine weitreichende Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie ab.
In dem deutsch-türkischen Konflikt seien »ganz grundsätzliche Fragen von Demokratie und Recht« berührt, erklärte die Kanzlerin. Mit Blick auf den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel betonte sie, die Bundesregierung setze sich mit aller Kraft für seine Freilassung ein. Das lege die Bundesregierung in allen Gesprächen auf den Tisch.
Ein türkischer Richter hatte für den »Welt«-Korrespondenten Ende Februar Untersuchungshaft angeordnet. Zuvor war Yücel bereits fast zwei Wochen in Polizeigewahrsam. Der Haftrichter hatte Zeitungsberichte Yücels als Belege für den Vorwurf der Terrorpropaganda und Aufwiegelung angeführt.
Merkel schlug in ihrer Regierungserklärung aber auch versöhnliche Töne an. Es liege nicht im Interesse der Bundesrepublik, dass sich Deutschland weiter von der Türkei entferne. Deutschland habe komplizierte, aber vielfältige Verbindungen mit der Türkei. Auch seien Wahlkampfauftritte von türkischen Politikern weiter möglich, sofern sie genehmigt werden könnten, sagte Merkel. Das türkische Regierungslager plant bis zum Referendum noch etwa 30 Veranstaltungen in Deutschland, wie der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag ankündigte. Dabei ist nach türkischem Recht ein Auslandswahlkampf seit 2008 gar nicht mehr zulässig ist.
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte den deutschen Behörden zuletzt »Nazi-Methoden« vorgeworfen, weil mehrere Kommunen Auftritte von türkischen Ministern abgesagt hatten. Politiker aller Bundestagsparteien äußerten sich darüber empört. Doch die Bundesregierung reagierte auf diese Anschuldigungen bislang merklich zurückhaltend. Nun forderte die Kanzlerin aber unmissverständlich, »diese Vergleiche der Bundesrepublik Deutschland mit dem Nationalsozialismus müssen aufhören.« Solche Vergleiche führten ins Elend, weil sie Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlosten. Sie seien außerdem den engen Beziehungen nicht würdig, so die Kanzlerin.
Der Fraktionschef der LINKEN im Bundestag, Dietmar Bartsch, verlangte am Donnerstag von der Bundesregierung angesichts des deutsch-türkischen Konfliktes mehr Initiative auf europäischer Ebene. Er erwarte von ihr zusammen mit den europäischen Staats- und Regierungschefs Kritik an Ankara, aber auch einen Plan, um aus der schwierigen Lage herauszukommen. Zudem müsse Merkel ihre Möglichkeiten nutzen, Waffenexporte an die Türkei zu stoppen.
Für eine neuerliche Irritation sorgte am Donnerstag, dass die türkische Regierung dem außenpolitischen Sprecher der LINKEN, Jan van Aken, einen Besuch der Bundeswehrsoldaten im Ort Konya verweigert hat. »Das Auswärtige Amt hat mir am Mittwoch mitgeteilt, die türkische Seite habe soeben telefonisch meinen Besuch abgelehnt«, sagte van Aken der »Welt«. Die Bundesregierung müsse jetzt schnell reagieren, forderte er. Abgeordnetenbesuche bei Bundeswehrsoldaten im Einsatz gehörten zur Grundbedingung einer Parlamentsarmee. nd/Agenturen
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.