Die letzte Runde
Der NSU-Ausschuss im Bundestag schloss die Beweisaufnahme
Herbert Diemer ist seit 1988 beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Im November 2011, kurz nachdem die rechtsextreme Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) aufgeflogen war, übernahm Diemer die Ermittlungen und vertritt seit Mai 2013 die Anklage gegen die NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer der Mörderbande.
Es ist also durchaus logisch, Diemer am Schluss der Beweisaufnahme im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages um seine Expertise zu bitten, zumal seine Behörde nicht nur gegen die in München Angeklagten ermittelt hat und - wie Diemer sagte - weiter ermittelt. Man hat weitere »acht oder neun Beschuldigte« im Visier und bearbeitet ein Verfahren gegen Unbekannt, um weiteren Mitgliedern des NSU auf die Spur zu kommen. Dass dies geschieht, ist so sicher wie die Existenz des Osterhasen.
Der Ausschuss konfrontierte den Zeugen mit zahlreichen offenen Fragen. Schlüssige Antworten bekamen die Abgeordneten nicht, denn Diemers Auftritt entsprach dem eines Staatsanwaltes am »Amtsgericht Hintermwald« vor der Pensionierung. Laut Diemer und seiner Anklageschrift bestand der NSU nur aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Böhnhardt und Mundlos ermordeten zehn Menschen, begingen 15 Überfälle und drei Bombenanschläge. Zschäpe garantierte eine bürgerliche Fassade der Untergrundkämpfer. Mittäter? Gab es nicht, sagt Diemer. Sein wichtigster Beweis: Die Bekenner-DVD. Dass darauf behauptet wird »Wir sind ein Netzwerk von Kameraden...«, stört den Scheuklappen-Chefankläger nicht.
Diemer ist ein erfahrener Staatsanwalt. Dass der 63-Jährige am Ende seiner Karriere nicht vor Scham in den Erdboden versinkt ob der höchst mangelhaften Ermittlungsarbeiten, muss einen Grund haben. Man darf, nein, man muss spekulieren. Nur mit wenig Fantasie kann man sich eine übergeordnete Eindämmstrategie vorstellen. Bereits im Februar 2012 konfrontierten Zschäpes Anwälte den Bundesgerichtshof mit einem Haftprüfungsantrag. Der wurde abgelehnt, doch die Justizbehörde bedeutete Diemer, nun fix anzuklagen. Der verstand den Wink und eilte sich.
Seltsam. In Deutschland ist eine U-Haft auf sechs Monate begrenzt, es sei denn, die Schwere der Tat und der Umfang der Untersuchungen rechtfertigen eine Fortdauer. Zschäpe saß damals gerade einmal drei Monate. Ob er lieber weiter ermittelt hätte? Der Zeuge Diemer geriet ins Schlingern. Deswegen habe man ja ein Verfahren gegen Unbekannt eröffnet, sagt er. Das läuft seit fünf Jahren - es gibt nicht eine einzige Anklage. Der Zeuge Diemer bestätigte am Donnerstag, dass seine Behörden die Ermittlungen an sich gezogen hat, die in Geheimdienstbereiche gingen. Das hätte für den Ausschuss Anlass genug sein müssen, um den Zeugen härter anzufassen: Mit wem wurde wann was besprochen? Wer klärte Streitfragen? Doch: Die Luft ist raus, der Ausschuss agiert ohne Biss. Die Abgeordneten ließen es dem Zeugen Diemer sogar durchgehen, dass er der Obfrau der Linksfraktion, Petra Pau, eine »pathologische« Sicht auf dieses Thema vorwarf.
Wie wichtig aber ernsthafte Ermittlungen bleiben, zeigte sich abermals an diesem Donnerstag. Am Rande spielte der ehemalige V-Mann »Primus« alias Ralf Marschner eine Rolle. Nicht Diemer, nicht das Bundeskriminalamt sondern Journalisten hatten aufgedeckt, dass dieser »Primus« in seiner Zwickauer Abrissfirma möglicherweise Uwe Mundlos beschäftigt hat und Beate Zschäpe zumindest Kundin in einem seiner Klamottenläden gewesen ist. Dichter dran konnte man kaum sein am untergetauchten Terror-Trio. Doch die beiden polizeilichen Befragungen des vom Bundesamt für Verfassungsschutz bezahlten und beschirmten V-Spitzels, der sich in die Schweiz abgesetzt hat, konnten nicht zurückhaltender sein. Der aber war ganz und gar nicht zurückhaltend. Noch im Jahr 2011 schrieb Marschner auf Facebook: »Heil NSU«.
Nun wollte der Ausschuss selbst die richtigen Fragen stellen und dazu in die Schweiz fahren. Doch - oh Wunder - die Eidgenossen lehnten ab. Deren Botschaft ist in Rufweite des Kanzleramtes, doch von dort kam offenbar keine Unterstützung für die Parlamentarier. Lieber betrügt die Regierung die Abgeordneten weiter bei der Aktenlieferung. Beispiel. Im Umfeld von NSU-Unterstützern agierte auch der dubiose Brandenburger V-Mann »Piatto« alias Carsten Szczepanski. Dass er Waffen für den NSU besorgen sollte, geht aus einer SMS hervor, die Jan Werner, ein Chemnitzer Unterstützer des Trios, im August 1998 an »Piatto« schickte. Das Landeskriminalamt in Thüringen hat Werner damals abgehört und alle SMS fortlaufend nummeriert. Es waren rund 2500. Doch ausgerechnet in dem fraglichen Zeitraum, nachdem Werner gefragt hatte »Was ist mit dem Bums?«, sind 114 Kurznachrichten nicht mehr auffindbar. Dass da eine Lücke klafft, ist Diemer und seinen »NSU-Umfeldermittlern« nicht aufgefallen. Wie so vieles nicht.
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