Zeig mir die Tortilla, und ich sag dir, wo du bist!

Zentralamerika-Kenner Ralf Leonhard bietet mit seinem regionalen Überblicksbuch eine lohnende Lektüre

  • Martin Reischke
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer über Zentralamerika schreibt, der hat es nicht leicht in der deutschen Öffentlichkeit. In den seltenen Fällen, dass etwas aus dem Landstrich, der Nord- und Südamerika verbindet, bis in die deutschen Medien dringt, lassen sich die Themen meist an einer Hand abzählen: Drogenschmuggel, explodierende Gewaltraten, Korruption und Kriminalität. Zentralamerika ist eine vergessene Region, aus Sicht Europas lediglich »eine Ansammlung von Klein- und Zwergstaaten, die als Wirtschaftspartner nicht ins Gewicht fallen«, wie der Autor Ralf Leonhard selbst im Vorwort bemerkt.

Das war nicht immer so: Die Bürgerkriege in Guatemala und El Salvador, vor allem aber die sandinistische Revolution in Nicaragua brachten die Region insbesondere in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch in Deutschland auf die politische Landkarte. Leonhard, der selbst als Korrespondent der »taz« und anderer Medien in dieser Zeit aus der Region berichtete, kann nun von seinem großen Wissensschatz zehren - und hat keine Mühe, in seinem Buch »Zentralamerika - Porträt einer Region« auch die aktuellen Entwicklungen in der Region und ihren einzelnen Ländern historisch, politisch und kulturell einzuordnen.

In einer Region, die zu Extremen neigt - so gilt das »Nördliche Dreieck« (Guatemala, Honduras und El Salvador) als eine der gewaltreichsten Regionen der Welt - bewahrt sich Leonhard den Blick des interessierten Beobachters. Klug und kenntnisreich berichtet er aus den sieben Ländern von Guatemala und Belize im Norden über Honduras, El Salvador, Nicaragua und Costa Rica bis hin zu Panama im Süden.

Dabei geht es dem Autor stets um zweierlei: den Blick auf's große Ganze und die verbindenden Themen sowie das Interesse an den Unterschieden der einzelnen Länder. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der EU ist es beispielsweise erhellend zu lesen, wie der Autor die spärlichen - und oft fruchtlosen Bemühungen um eine engere politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Ländern auf regionaler Ebene beschreibt. Da gibt es etwa Costa Rica, das sich als reichstes Land des Subkontinents aus der Zusammenarbeit weitgehend zurückgezogen hat - und nicht ganz zu Unrecht den Titel »Schweiz Zentralamerikas« trägt.

Auch die Rolle der USA wird ausführlich beleuchtet, die die politische Entwicklung der zentralamerikanischen Staaten seit Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hat. Themen wie den so genannten Fußballkrieg zwischen Honduras und El Salvador, die in anderen Veröffentlichungen häufig als skurrile Randnotiz auftauchen, dienen Leonhard als Ausgangspunkt für grundlegende politische Analysen. Das journalistische Handwerkszeug des Autors merkt man dem Buch an: Leonhard schreibt kein akademisches Werk von oben, sondern scheut sich nicht, den einfachen Leuten über die Schulter zu schauen und reportagenhaft Alltagsgeschichten aufzugreifen, die ihm als Beispiel dienen für gesellschaftliche Themen wie die Rolle der Frau in Mittelamerika.

Und auch wenn das Buch kein Reiseführer im klassischen Sinne ist - Hotelempfehlungen fehlen deshalb ebenso wie Hinweise zu lohnenden Ausflugszielen - so hält Leonhard für den Neuling in der Region doch einen sehr praktischen Hinweis bereit: Dass man nämlich schon an der Tortilla - dem typischen runden Maisfladen - erkenne, in welchem Land man sich befindet: »In Guatemala sind sie klein und dünn, in El Salvador klein und dick, in Nicaragua mittelgroß, in Costa Rica kommen sie aus der Fabrik.« Wer von diesem Autor begleitet wird, der kann seinen Baedeker getrost zu Hause lassen.

Ralf Leonhard: Zentralamerika - Porträt einer Region, Ch. Links Verlag, 248 Seiten, 18 Euro)

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