Borissows dritter Versuch

Bei Bulgariens Parlamentswahlen könnte der zweimal gescheiterte Ex-Premier vorn landen

  • Thomas Roser, Chaskowo
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter vergoldetem Gipsstuck mimt Bulgariens einstiger Heilsbringer den pragmatischen Bürgervater. Lässig an das Rednerpult im Theater von Chaskowo gelehnt, warnt der wuchtige Ex-Premier Bojko Borissow vor schweren Samtvorhängen seine rund 200 Zuhörer eindringlich vor den »törichten Versprechen« der sozialistischen BSP. Seine konservative Gerb habe aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und stehe »fest auf dem Boden«, versichert der einstige Leibwächter: »Dem Populismus unserer Gegner sind hingegen keine Grenzen gesetzt: Mit ihnen würde Bulgarien der erneute Absturz drohen.«

Zum dritten Mal in vier Jahren müssen sich die Bulgaren am Sonntag vorzeitig zu den Wahlurnen aufmachen, um die - einschließlich mehrerer Übergangskabinette - siebte Regierung seit 2013 zu küren. Umfragen prophezeien ein Kopf-an- Kopf-Rennen zwischen den Großparteien Gerb und BSP, die mit einem prognostizierten Stimmenanteil von jeweils 30 bis 32 Prozent der Stimmen für eine Koalition auf mindestens zwei weitere Partner angewiesen sein dürften. Nicht nur die Flüchtlingskrise und fragwürdige Wahlkampf-Interventionen Ankaras überschatten den von patriotischen Tönen getragenen Stimmenstreit: Auch die EU-Sanktionen gegen Russland sorgen im Wahlkampf für anhaltenden Wellenschlag.

Selbst lästige Fragen bringen Bulgariens bulligen Spitzenpolitiker bei der Stimmenjagd in der Provinz nicht aus dem Konzept. Er habe sich als Premier während der Ukraine-Krise in der EU mit am entschiedensten gegen die Verhängung von Sanktionen gegen Russland eingesetzt, beteuert Borissow in Chaskowo seinem Publikum. Doch deren einseitige Aussetzung und ein Ausscheren aus der Sanktionsfront würde das Land noch teurer zu stehen kommen als deren kostspielige Folgen: »Wir würden ein Vielfaches an EU-Fördermitteln verlieren.«

Zu Beginn seiner steilen Karriere setzte der Neu-Pragmatiker noch auf markig populistische Töne. Als selbsternannter Saubermann und Sheriff der Nation war dem früheren Karatetrainer 2005 die Kür zum Bürgermeister von Sofia und 2009 die erstmalige Wahl zum Regierungschef geglückt. Doch der einstige Glanz seines Sheriffsterns ist nicht nur wegen einer kargen Erfolgsbilanz in dem von ihm vollmundig verkündeten Feldzug gegen die Korruption verblasst. Auch zehn Jahre nach dem Beitritt zu Europas Wohlstandsbündnis dümpelt in der EU das arme Bulgarien noch immer am Ende fast aller Sozialstatistiken.

Zwei Mal ist der Hobbykicker bei einer Regierungsmission bereits vorzeitig gescheitert. 2013 warf er nach wütenden Hungerprotesten gegen geplante Strompreiserhöhungen das Handtuch. Im November kündigte er nach der kläglichen Schlappe der von ihm gekürten Kandidatin Zezka Zatschewa bei den Präsidentschaftswahlen erneut seinen verfrühten Abgang an. Doch obwohl die BSP unter Führung der neuen Parteichefin Kornelija Ninewa ihren Stimmenanteil vermutlich verdoppeln kann, scheinen Abgesänge auf die Ära von Bulgariens ewigem Bojko verfrüht: Beim zu erwartenden Koalitionspoker könnte erneut Bojko Borissow vielleicht doch das beste Blatt in der Hand halten.

Auch nach der Wahl werde Borissow die »dominierende Figur« Bulgariens bleiben, glaubt der Analyst Stojtscho Stojtschew in der Hauptstadt Sofia. In einer Gesellschaft, in der eine starke Führung mehr zähle als starke Institutionen, sei der Ex-Premier noch immer »der mit Abstand populärste Politiker«. Bei der Regierungsbildung verfüge seine Gerb zudem über ein »größeres Koalitionspotenzial« als die BSP: Am wahrscheinlichsten sei ein Zusammengehen von Gerb mit den nationalistischen »Vereinten Patrioten« und der populistischen »Wolja« des Unternehmers Wesselin Mareschki - genannt »Balkan-Trump«.

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