Schützende Hand über V-Mann?

In Hessen ist kein Ende der Ermittlungen zur NSU-Mordserie abzusehen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Landtagsuntersuchungsausschuss zur Aufklärung der Rolle hessischer Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Mordserie der Neonazi-Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) ist auch nach fast drei Jahren und gut anderthalb Jahre vor dem Abschluss der Legislaturperiode kein Ende der mühsamen und akribischen Ermittlungsarbeit abzusehen.

So sind die den Ausschussmitgliedern vorliegenden und von den hessischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellten Unterlagen offenbar nach wie vor nicht vollständig. Nach Insiderangaben wurden erst in der vergangenen Woche weitere Aktenordner an die Abgeordneten geliefert. Damit dürfte die Ausschussarbeit bis Sommer 2018 andauern.

In Hessen konzentriert sich das Interesse der Ausschussmitglieder vor allem auf die Ermordung des türkischstämmigen Internetcafébetreibers Halit Yozgat in Kassel am 6. April 2006. Er gilt als das neunte und mutmaßlich letzte Todesopfer der NSU-Mordserie. Der ehemalige V-Mann-Führer Andreas Temme, der in jungen Jahren in seinem nordhessischen Heimatort Hofgeismar wegen seiner rechten Gesinnung auch »kleiner Adolf« genannt wurde, saß zur Tatzeit in Yozgats Internetcafé. Nach neuesten Erkenntnissen hatte er sich als Mitarbeiter in der Außenstelle Kassel des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) auf Anweisung seiner Vorgesetzten schon zwei Wochen vor der Tat dienstlich mit der NSU-Mordserie befasst. Dies geht aus einem von Temme unterzeichneten Dokument vom März 2006 hervor, das erst seit Dezember 2016 auf ausdrückliche Nachfrage der Linksfraktion dem Untersuchungsausschuss vorliegt.

Dass der V-Mann-Führer diesen Sachverhalt jahrelang verschwiegen und abgestritten hatte, wirft neue Fragen auf. »Das von Temme unterzeichnete Dokument wäre auch ein wichtiges Beweismittel für den NSU-Prozess in München und für den NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag gewesen«, bemängelt der Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (LINKE). »Stattdessen hat es über zehn Jahre im Landesamt geschlummert.«

Mit Spannung erwartet wird der Auftritt von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), der vermutlich im Juni dem Ausschuss Rede und Antwort stehen wird. Bouffier war von 1999 bis 2010 Hessens Innenminister und damit jahrelang oberster Dienstherr Temmes. Neue zu Tage geförderte Fakten deuten darauf hin, dass sich Bouffier und Temme möglicherweise aus einem parteipolitischen Zusammenhang persönlich kennen. So bestätigte Frank-Ulrich Fehling, ehemaliger Leiter der Kasseler LfV-Außenstelle, dass um die Jahrtausendwende Verfassungsschutzmitarbeiter aus Kassel mindestens zweimal mit einem Dienstwagen in die Landeshauptstadt Wiesbaden gereist seien, um an den alljährlich stattfindenden Grillfesten eines ominösen »CDU-Arbeitskreises« im hessischen Inlandsgeheimdienst teilzunehmen. Minister Bouffier habe zumindest einmal an einer solchen Parteiveranstaltung auf dem Gelände der hessischen Wasserschutzpolizei am Rheinufer in Wiesbaden teilgenommen, so Fehling. Da der Teilnehmerkreis nach Temmes Tagebuchaufzeichnungen z. B. im September 2000 mit 12 bis 15 Anwesenden überschaubar war, könnten sich Bouffier und Temme durchaus begegnet sein und darüber hinaus gekannt haben. Damit findet die Vermutung des Abgeordneten Schaus, dass Bouffier »eine schützende Hand über Temme gehalten« haben könnte, neue Nahrung. Offenbar seien zudem Dienstfahrzeuge und Landeseinrichtungen der Polizei in unerlaubter Weise für Parteizwecke genutzt worden, bemängelt Schaus.

Die hessische Linksfraktion will jetzt in einem detaillierten Dringlichen Berichtsantrag von der Landesregierung erneut wissen, ob die Feiern des CDU-Arbeitskreises im LfV tatsächlich in Diensträumen stattgefunden haben und ob eine Kostenverrechnung mit dem Land stattgefunden hat. Ebenso verlangt die Fraktion Auskunft über die Frage, ob neben Bouffier noch weitere Vertreter der Landesregierung an Sitzungen oder Veranstaltungen des CDU-Arbeitskreises im LfV teilgenommen haben.

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