Nichts ist es mit »Verhandlungen auf der Zielgeraden«
Gravierende Interessenkonflikte im Hintergrund der Zypernverhandlungen / Noch immer bestimmen die »Mutterländer« das Schicksal der Insel wesentlich mit
Ganz nüchtern besehen dürfte die Lösung des so genannten Zypernproblems nur unter zweierlei Blickwinkel betrieben werden. Erstens: Tut eine Vereinigung Zyperns dessen innerer Entwicklung gut, besonders seiner inneren Sicherheit? Zweitens: Entspannt eine Wiedervereinigung die Lage unter regional-strategischen Gesichtspunkten?
Da keiner weiß, was die Zukunft bringt, kann auch niemand diese Fragen beantworten. Deshalb wird das zumindest von Realpolitikern auch nicht ernsthaft versucht. Die dürften diese Fragen bei ihren Planspielen sicher nicht einmal stellen. Vielmehr versuchen sie dort in erster Linie, Vorteile für die unterschiedlichen Lager zu erspielen, denen sie angehören.
Da ist regional-strategisch zum einen die westliche Seite. Dazu gehören die NATO im weitesten Sinne sowie im engeren die NATO-Mitglieder Großbritannien, Griechenland und Türkei. Letztere sind die international vertraglich verbürgten Garantiemächte nach der kriegerischen Teilung 1974; Großbritannien als einstige Kolonialmacht (1878-1960), Griechenland und die Türkei als fiktionale »Mutterländer« der beiden Inselethnien. Für die westliche Seite wäre die Vereinigung von Vorteil, weil sie die NATO politisch und militärisch in diesem Raum als Gegenpol zu Russland stabilisiert. Immerhin steht sich die NATO in Zypern militärisch intern gewissermaßen selbst gegenüber: hier in Gestalt der türkischen Invasionstruppen im Norden, dort in der Gestalt der griechisch alimentierten Armee im Süden.
Exponent der regionalstrategisch östlichen Seite ist Russland. Es verfügt bislang über keine mit sowjetischen Zeiten auch nur annähernd vergleichbare, für das ausgewogene strategische Kräfteverhältnis indes nicht nur aus seiner Sicht nötige Mittelmeerpräsenz. Relevant für Russland ist da besonders das Adriatische, Ägäische und Levantinische Meer; genau im letzteren liegt Zypern. Im Mittelmeerraum präsenter zu werden, ist für Russland schwer. Dazu teuer und verlustreich, wie der Syrieneinsatz deutlich macht. Für Russland wäre es deshalb durchaus von Vorteil, wenn Zypern wegen der damit verbundenen brisanten NATO-Querelen geteilt bleibt.
Und schließlich ist da die 1960 ausgerufene und de jure nach wie vor bestehende Republik Zypern selbst, de facto seit 1974 allerdings in Süd und Nord geteilt mit hier griechischer und dort türkischer Volksgruppe und deren Parteien. Zwischen denen gibt es indes übergreifende objektive Interessen. Von Vorteil wäre sicher, dass dann die Republik Zypern endlich als Ganzes EU-Mitglied wäre; der türkisch besetzte Norden, in dem das Bruttoinlandsprodukt nur etwa die Hälfte des Südens beträgt, ist bisher davon ausgenommen. Ein weiterer Vorteil wäre die eigene volle Souveränität, ohne votums- und sogar interventionsberechtigte »Garantiemächte« auskommen zu können. Das wäre beispielsweise auch sehr hilfreich dafür, die riesigen seit längerem erkundeten abbaufähigen Petrolvorkommen im Schelfgebiet national effektiv aufzuschließen und zu nutzen.
Die Verhandlungs-Crux besteht also auch hier wie immer darin, dass des einen Vorteil meist des anderen Nachteil ist. Zudem weiß man meist noch nicht einmal wirklich sicher, was die eine oder andere Seite selbst insgeheim für ihren eigenen Vorteil oder Nachteil hält. So gesehen sind beim Zypernproblem Parolen wie »Verhandlungen auf der Zielgeraden«, wie sie vor wenigen Wochen die Schlagzeilen bestimmten, reine Spekulation. Michael Müller
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