100.000 verfolgten Mélenchons Hologramm-Auftritt

Der linke Präsidentschaftskandidat trat zum Finale seines Wahlkampfs in mehreren französischen Städten gleichzeitig auf

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Saal in Montpellier ist brechend voll, Bella Ciao erklingt, die Menge klatscht mitsingend im Takt und Mélenchon erscheint. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn er erscheint nicht nur auf der Bühne in Montpellier, sondern auch in sieben anderen französischen Städten: in Dijon, Nancy, Grenoble, Clermont-Ferrand, Nantes und selbst im Indischen Ozean, auf der Insel La Réunion – gleichzeitig. Nur in Dijon könnten seine Fans den linken Präsidentschaftskandidaten auch anfassen, theoretisch. Denn die anderen Mélenchons sind Hologramme.

Es ist der zweite Aufritt dieser Art, bereits im Februar gab es ein Hologramm des linken Kandidaten in Lyon. Mélenchon ist dieser Tage, kurz vor dem ersten Wahlgang am Sonntag, tatsächlich ein bisschen überall in Frankreich. Zu den Wahlkampfveranstaltungen kommen bis zu 70.000 Anhänger, wie am 9. April in Marseille, und auch die dezentralen Hologramm-Reden vom Dienstag waren mit 37.000 Menschen vor Ort und weiteren 60.000 Zuschauern über Facebook und Twitter sehr gut besucht. Umfragen sehen ihn inzwischen auf Platz drei, direkt hinter dem liberalen Emmanuel Macron und der ultrarechten Marine Le Pen – durchaus ein Erfolg seiner Kampagne, denn zu Beginn galt der Linke mit unter 10 Prozent noch als Außenseiter.

Der Wahlkampf via Hologramm, Facebook und Twitter überrascht vor allem deshalb so viele Wähler positiv, weil Mélenchon bisweilen einen etwas verstaubten Eindruck hinterließ. So merkte etwa der französische Soziologe Didier Eribon an, dass Mélenchon »das gleiche Vokabular« benutze wie die Rechtsextremen: Volk, Nation, das große Frankreich.

Am Dienstagabend zeigte Mélenchon jedoch, dass er seine Anhänger trotzdem – oder gerade deshalb? – mehr denn je begeistert. »Das Programm ist, dass man würdig von seiner Arbeit leben kann, dass man gepflegt wird, wenn man krank ist – und dass man aufhören kann zu arbeiten, wenn es soweit ist«, rief er unter tosendem Applaus. Macron zeige sich gerne als moderner Kandidat, sagte der Linke, aber was eigentlich modern sei, das sei die soziale Sicherheit.

In seiner Rede wandte sich der von einigen Linken als als nationalistisch kritisierte Mélenchon auch gegen rassistische Polizeikontrollen: »Es reicht! Die Republik ist unteilbar. Alle ihre Kinder sind willkommen in ihrem Schoß.« Mélenchon wies zudem die Kritik von sich, er sei ein Gegner der EU: »Glaubt nicht denen, die euch sagen, dass ich aus Europa und dem Euro austreten will.« Vielmehr wolle er einen Weg finden, die europäischen Verträge mit Deutschland neu zu verhandeln.

Unterdessen findet der französische Präsidentschaftskandidat auch internationale Unterstützung von linken Akademikern. In einem Aufruf von 130 Wissenschaftler*innen aus 17 Ländern schreiben unter anderem Paul Mason, Alex Demirovic und Klaus Dörre, die politischen Vorschläge von Mélenchon seien »die einzigen, die in der Lage sind, auf die fünf größten Probleme unserer Zeit eine Antwort zu finden.« Darunter zählen sie die hohe (Jugend-)arbeitslosigkeit, die steigende soziale Ungleichheit, die Finanzialisierung der Industrie, die Klimakrise und die Kürzungspolitik der EU.

»Während Frankreich noch immer nicht aus der ökonomischen Stagnation herausgetreten ist, die aus der Finanzkrise 2007-2008 resultierte, wollen Emmanuel Macron und François Fillon die Sparpolitik in den öffentlichen Ausgaben, die Schleifung des Sozialstaats und des Arbeitsrechts weiter vertiefen, die ausnahmslos von allen vorherigen Regierungen verfolgt wurde«, heißt es in dem Aufruf. »Diese Politik dient niemandem außer den Reichen.« Die Vorschläge Mélenchons jedoch würden es schaffen, den Haushalt im Gleichgewicht zu halten, ohne einen Austeritätskurs zu fahren. Die Autoren zählen hierzu das 100 Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm, die Erhöhung der Reichensteuer und die Neuverhandlung der europäischen Verträge mit Aufgabe des Stabilitätspakts.

Umfragen sehen den 65-Jährigen Linken inzwischen bei bis zu 20 Prozent. Am Dienstagabend wollte er die Bühne gar nicht mehr verlassen. »Er hat seinen Auftritt genossen«, schreibt die linke französische Tageszeitung »Libération«. »Ein Künstler, aufrecht vor der Menge stehend. Sein Team, hinter den Kulissen, hatte Tränen in den Augen.«

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