2035 muss der Strom sauber sein
Studie zeigt Notwendigkeit und Machbarkeit des Kohleausstiegs in den nächsten 18 Jahren
2035 könnte ein historisches Jahr werden. Dann nämlich könnte das letzte deutsche Kohlekraftwerk vom Netz gehen und das Land seinen Strom weitestgehend klimaneutral produzieren - zumindest, wenn das umgesetzt wird, was Umweltschützer fordern. »Die Pläne und Strategien liegen auf dem Tisch, aber die Politik hinkt hinterher«, meinte der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Olaf Tschimpke, am Montag in Berlin. Seine Organisation veröffentlichte da eine Studie, die zeigt, dass der Kohleausstieg in den nächsten 18 Jahren problemlos machbar ist. Er sei notwendig, will Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele erreichen.
Bei dem NABU-Bericht handelt es sich um eine sogenannte Metastudie, die das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie für die Umweltorganisation anfertigte. Das heißt, dass die Forscher nicht eigene Ausstiegsszenarien modellierten, sondern auf bereits veröffentlichte Positionspapiere wie den »Fahrplan Kohleausstieg« der Bundestagsfraktion der Grünen oder wissenschaftliche Studien wie jene von Greenpeace oder des WWF zurückgriffen und diese miteinander verglichen.
»Die deutsche Klima- und Energiepolitik braucht mehr Ordnungsrecht«, erklärte die klimapolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Eva Bulling-Schröter, und forderte ein Kohleausstiegsgesetz. Die NABU-Studie zeige zum wiederholten Male, dass mehr Tempo beim Kohleausstieg nicht nur dringend nötig, sondern auch sozialverträglich und technisch machbar ist. »Bei der Großen Koalition fehlt dafür jedoch weiterhin jeglicher politischer Wille, was einem Verrat auf Raten am ratifizierten Klimaabkommen von Paris gleichkommt«, so Bulling-Schröter.
Schwarz-Rot hatte Ende vergangenen Jahres den »Klimaschutzplan 2050« beschlossen, laut dem die Bundesrepublik bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden soll. Doch konkrete Maßnahmen wie einen Kohleausstiegsplan sparte das Kabinett um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus. So ist mittlerweile offenkundig, dass Deutschland vermutlich seine Vorgaben verfehlen und seinen Beitrag zum UN-Klimaschutzziel von Paris, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, nicht leisten wird. Denn dazu müsste neben dem Verkehr, der Industrie und den privaten Haushalten vor allem die Energiewirtschaft ihren Beitrag leisten. Diese ist für 45 Prozent energiebedingten Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Gleichzeitig kommen 80 Prozent der durch die Stromgewinnung verursachten CO2-Emissionen aus Braun- und Steinkohlekraftwerken, während diese Meiler nur 40 Prozent des Stroms produzieren.
Zudem könnte sauberer Strom helfen, andere Sektoren auch klimafreundlich zu machen. »Wenn Elek-troautos mit Strom aus Kohlekraftwerken betrieben werden, spart das keine Emissionen ein«, verwies Studienautor Timon Wehnert auf das Ziel, Verbrennungsmotoren durch Elektroautos zu ersetzen.
Damit der Kohleausstieg gelingen kann, muss die Energiewende wieder richtig in Fahrt kommen. »Die realen Ausbauzahlen, die wir jetzt haben, sind zu klein«, sagte Studienautor Wehnert. Zwar liege der Anteil von Strom aus Sonne, Wind und anderen regenerativen Quellen am Bruttostromverbrauch bei knapp 32 Prozent. Doch besonders bei Solaranlagen hinken die tatsächlichen Ausbauzahlen Wehnert zufolge den Zielwerten der Bundesregierung hinterher. Damit die regenerativen Energiequellen in 18 Jahren die Kohlekraft ersetzen können, müsste deren Förderung zwar reformiert, aber nicht gänzlich umgekrempelt werden, so Wehnert.
Zudem sollte dies koordiniert ablaufen, meinte Tschimpke: »Ich wehre mich dagegen, dass man den Natur- gegen den Klimaschutz ausspielt«, brachte der NABU-Präsident weitere Anforderungen für den Kohleausstieg ins Spiel. So müsse weiter an der Speichertechnologie gefeilt und Strukturanpassungsprogramme erarbeitet werden, damit die sozialen Folgen des Ausstiegs in den betroffenen Regionen wie der Lausitz abgefedert werden. Und auch die Kosten müssten im Blick gehalten werden. So wäre ein Kohleausstieg bereits vor 2035 theoretisch machbar. Dafür müssten aber etwa Gaskraftwerke gebaut werden, die vor ihrer Amortisierung wieder vom Netz zu nehmen seien.
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