Marokko verweigert Sammelabschiebungen
Für Innenminister Jäger kommt Nordrhein-Westfalen in Sachen Abschiebungen nicht schnell genug voran
Rund 2000 ausreisepflichtige Marokkaner leben in Nordrhein-Westfalen – gut die Hälfte bundesweit. Geht es nach Innenminister Ralf Jäger (SPD), sollen diese so schnell wie möglich abgeschoben werden. Weil Marokko jedoch Sammelabschiebungen blockiert, könne das Land nur wenige von ihnen ausfliegen, teilt das Landesinnenministerium mit. »Problematisch bleibt die Ablehnung von Charterflugabschiebungen durch Marokko«, so Jäger in einer Antwort auf eine CDU-Anfrage. Marokko akzeptiert maximal fünf abgeschobene Rückkehrer pro Linienflug – in der Praxis sind es meist weniger.
Jäger forderte den Bund auf, »alle Möglichkeiten der Einflussnahme und Verständigung zu nutzen«, um die Herkunftsländer dazu zu bewegen, ihre Staatsbürger ohne Hürden zurückzunehmen. Das NRW-Innenministerium hatte in den vergangenen Jahren einen drastischen Anstieg von Straftaten junger Männer aus Marokko und Algerien registriert. Bei der Beschaffung von Passersatzpapieren gebe es jedoch durch die im August 2016 eingerichtete Task-Force von Bund und Land zur Rückführung in die Maghreb-Staaten kleine Fortschritte, berichtete Jäger.
In Nordrhein-Westfalen leben besonders viele Marokkaner, da Asylsuchende früher nach Länderschwerpunkten verteilt wurden und NRW einer für Marokkaner war. Ein Großteil der Ausreisepflichtigen wird geduldet – etwa wegen fehlender Papiere oder schwerer Erkrankungen – und kann daher nicht abgeschoben werden.
Die Bundesregierung hatte in der Vergangenheit immer wieder versucht, Marokko zusammen mit Tunesien und Algerien auf die Liste sicherer Herkunftsstaaten zu setzen. Dies war jedoch am Widerstand der Opposition im Bundesrat gescheitert. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty International stellen sich gegen eine derartige Einstufung und verweisen auf eklatante Menschenrechtsverletzungen in den drei Ländern.
Insbesondere nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht wurden vermehrt Stimmen laut, die eine Einstufung der Maghreb-Staaten als sicher forderten. Eine solche Einstufung ist jedoch nur dann erlaubt, wenn dort keine »unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet«. Dies ist in Tunesien, Algerien und Marokko jedoch keinesfalls gewährleistet.
Warum Tunesien, Algerien und Marokko keine »sicheren Herkunfsstaaten« sind
So gilt Tunesien als Ursprungsland des Arabischen Frühlings in Sachen Versammlungsfreiheit zwar als Vorbild in der arabischen Welt. Das Versprechen der »fundamentalen Freiheiten«, das die neue Verfassung den Bürgern des Landes gemacht hat, ist aber längst nicht eingelöst. Mehrmals lösten in den vergangenen Jahren Sicherheitskräfte Demonstrationen mit massiver Gewalt auf. Noch schlimmer ist die Situation in Marokko: Monarchiegegner oder Aktivisten, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara einsetzen, werden dort regelmäßig von öffentlichen Plätzen vertrieben. Ähnlich sieht die Situation in Algerien aus: 2014 lösten Sicherheitskräfte die Protestbewegung »Barakat« brutal auf. In der Hauptstadt Algier sind Demonstrationen gleich ganz verboten.
Auch beim Thema Folter sieht es nicht besser aus. So hat die jüngste Justizreform in Tunesien zwar Häftlingen mehr Rechte verschafft und Inhaftierte haben nun beispielsweise das Recht auf einen Anwalt. Gefoltert wird laut Menschenrechtsorganisationen trotzdem. Vor allem infolge der neuen Anti-Terrorgesetze gebe es wieder vermehrt Fälle von Folter wie etwa Waterboarding, berichtet Amnesty International. Internationale Aufmerksamkeit erregte in diesem Zusammenhang der Tod von Mohamed Ali Snoussi. Polizisten verprügelten den 32-Jährigen am 24. September 2014 auf offener Straße und verhafteten ihn anschließend. Neun Tage später starb er – wahrscheinlich an den Folgen der Folter, die er in Haft erleiden musste. Trotz gegenteiliger Bekundungen wird auch in Marokko weiter gefoltert. Ein Bericht von Amnesty International vom Mai 2015 dokumentierte 173 solcher Fälle. Und in Algerien berichteten Häftlinge in der Vergangenheit immer wieder durch Folter durch den Geheimdienst DRS.
Ein weiterer Punkt, der gegen die Einstufung von Marokko, Tunesien und Algerien als sichere Herkunftsländer spricht ist der Umstand, dass Homosexualität dort laut Gesetz immer noch strafbar ist. Schwulen und Lesben drohen in allen drei Ländern Gefängnisstrafen. Und das nicht nur theoretisch: In Tunesien drohten Polizisten kürzlich einer lesbischen Frau mit Inhaftierung wegen ihrer Sexualität, als diese einen Überfall zur Anzeige bringen wollte. Amnesty International berichtet von fünf Männern, die 2015 in Marokko wegen gleichgeschlechtlichem Sex zu Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren verurteilt wurden. Im März 2016 sorgte außerdem ein Internetvideo für Aufsehen, das zeigt, wie eine Gruppe von Männer ein schwules Paar in ihrer Wohnung überfällt und verprügelt. Kurz darauf verurteilte ein Gericht die Beteiligten: eines der schwulen Opfer zu vier Monaten Haft wegen »unnatürlicher Handlungen zwischen Personen des gleichen Geschlechts« und die Angreifer zu zwei Monaten auf Bewährung.
Auch Journalisten werden in den drei Maghreb-Staaten verfolgt. Zwar hat sich seit dem sogenannten Arabischen Frühling in der tunesischen Medienlandschaft vieles zum Besseren gewendet, noch immer seien Drohungen und Gewalt gegen Journalisten jedoch an der Tagesordnung, berichtet Reporter ohne Grenzen. Kritik an Amtsträgern wird mit Gesetzen aus der Zeit des alten Regimes begegnet. Auch in Algerien werden Journalisten, die kritisch über die Regierung berichten, verfolgt. Der regierungskritische Fernsehsender Al Atlas-TV musste im März 2014 sein Programm einstellen. Drei Monate später wurde ein Reporter zu zwei Jahren Haft verurteilt. Er hatte mit seiner Kamera plündernde Polizisten dokumentiert. In Marokko wird laut Reporter ohne Grenzen Kritik am König als »Angriff auf die heiligen Werte der Nation« mit Gefängnis bestraft. Unliebsamen Journalisten würden außerdem oft Drogendelikte untergeschoben.
Frauen sind in Marokko, Algerien und Tunesien Gewalt oft schutzlos ausgesetzt. Auch wenn die neue tunesische Verfassung in Sachen Gleichstellung von Mann und Frau einmalig in der islamischen Welt ist, gibt es trotz vieler Verbesserungen für weibliche Opfer von Gewalt in einigen Fällen immer noch keinen staatlichen Schutz: So können Vergewaltiger von Frauen, die jünger sind als 20 Jahre, straffrei davon kommen, wenn sie ihr Opfer nach der Tat heiraten. Ein ähnliches Gesetz findet sich auch im algerischen Strafgesetzbuch. In Marokko wurde ein derartiges Gesetz, das die Ehe als eine Art Wiedergutmachung bei Vergewaltigung vorsieht, im Jahr 2014 nach dem Selbstmord eines Opfers abgeschafft. mit Agenturen
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