Es geht um die Selbstverwaltung
Millionen Bürger können derzeit bei den Sozialwahlen abstimmen
Dieser Tage flattert in jeden zweiten Haushalt ein dicker Brief. Es sind die Unterlagen für die sogenannte Sozialwahl - die Wahl der Verwaltungsgremien der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherungen. Ein Gewinner steht heute schon fest: die Post. Rund acht Millionen Euro müssen die zehn beteiligten Kassen alleine für das Porto ausgeben. Insgesamt schlägt die Briefwahl der 168 Verwaltungsräte mit 46,3 Millionen Euro zu Buche.
Angesichts eines Budgets von insgesamt 270 Milliarden Euro sind die Wahlkosten aber ein überschaubarer Betrag. Dennoch halten die übrigen 145 Versicherungsträger wie zum Beispiel die AOK eine echte Urwahl für überflüssig und sparen sich lieber das Geld. Auch bei ihnen wird gewählt - unter dem etwas holprigen Titel »Wahl ohne Wahlhandlung« gibt es jedoch nur eine Einheitsliste mit soviel Kandidaten, wie es Mandate gibt.
Wer bei der Sozialwahl abstimmen will, muss den Wahlbrief bis 31. Mai zurückschicken. Erste Ergebnisse werden Mitte Juni erwartet. Eine Ausnahme bildet die Krankenkasse Barmer. Deren Mitglieder erhalten ihre Unterlagen Anfang September und haben Zeit bis zum 4. Oktober. Die Übernahme der Betriebskrankenkasse Deutsche BKK durch Barmer zu Jahresbeginn und die damit verbundenen Verzögerungen in der Wahlvorbereitung sind der Grund hierfür.
Bei der Gesetzlichen Rentenversicherung sowie bei fünf Ersatzkassen und vier anderen kleinen Trägern konkurrieren mehrere Listen gegeneinander. Bei der Barmer, der größten Krankenkasse, treten elf Listen zur Wahl an. Neben den gewerkschaftsnahen Listen wie denen von ver.di, DGB und IG Metall sind es vor allem freie Listen, die den Namen der Versicherung zu vereinnahmen versuchen.
Mit Erfolg: So hat die Barmer-GEK-Gemeinschaft bei der letzten Sozialwahl 2011 rund 44 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Dagegen kamen die drei Gewerkschaftslisten zusammen gerade mal auf 13 Prozent. Auch bei der Rentenversicherung ist der Name der Institution werbewirksam. So erhielt beim letzten Mal die BfA-Gemeinschaft 37 Prozent der Stimmen, während die drei gewerkschaftlichen Listen zusammen nur 22 Prozent der Stimmen bekamen.
Bei den meisten Wählern wandert der Brief aus Berlin in den Papierkorb. »Erschreckend gering« sei die Beteiligung von jungen Menschen, beklagt der frühere Bundesbeauftragter für die Sozialwahlen, Gerald Weiß. Insgesamt lag die Beteiligung 2011 und davor 2005 bei jeweils gut 30 Prozent. Bei den Wählern, die jünger als 29 Jahre waren, gaben jedoch nur 12 Prozent ihre Stimmen ab.
Ex-Beauftragter Weiß hat eine Idee, wie der Stimmenanteil der jungen Wähler angehoben werden könnte: durch die Umstellung auf ein Onlinewahlverfahren. Erst wenn die Jüngeren per Smartphone abstimmen könnten, sei mehr Engagement zu erwarten. Bisher war der Gesetzgeber in dieser Richtung aber tatenlos. Die Enthaltsamkeit der Wähler hängt aber auch mit der Anonymität der Kandidaten und der nur geringen politischen Außenwirkung zusammen.
In seinem Schlussbericht zur letzten Wahl listet Weiß noch eine ganze Reihe von anderen Reformvorschlägen auf, die die Attraktivität der Sozialwahl erhöhen könnte: So sei wichtig, dass die gewählte Selbstverwaltung mehr Möglichkeiten und Kompetenzen bei der Festsetzung der Beitragssätze in den Krankenversicherungen erhalten. Denn derzeit haben die Gremien lediglich drei Aufgaben: die Verabschiedung des Haushalts, die Berufung des Vorstands und die Verabschiedung der Satzung.
Auch will Weiß die Gremien transparenter machen und fordert, dass die Namen der Kandidaten, die bisher meist weitgehend anonym bleiben, zumindest zusammen mit deren politischen Positionen veröffentlicht werden. Auch plant der Ex-Bundesbeauftragte die Einführung einer Frauenquote - bislang sind nur 18 Prozent der gewählten Verwaltungsräte Frauen.
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