- Wirtschaft und Umwelt
- Soziales im Koalitionsvertrag
Schaffe, schaffe, Häusle baue
Leistungskürzungen, viel Arbeit und ein Bau-Boom. Sozialpolitik in Schwarz-Rot
»Viele soziale Leistungen sind unzureichend aufeinander abgestimmt«, leitet die absehbare neue Bundesregierung ihr Kapitel zu »Sozialleistungen« und einem »bürgerfreundlichen Sozialstaat« im Koalitionsvertrag ein. Das zielt wohl auf den Status quo ab. In vielerlei Hinsicht scheint der Vertrag zwischen CDU und SPD tatsächlich harmonischer. Das bedeutet nicht unbedingt Gutes für Armutsbetroffene. Zum Beispiel wird es nun wohl einfacher, Jobcentern wie gefordert »ausreichend Mittel« für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Denn da sich die Regierung zum Hartz-4-System des »Förderns und Forderns« zurückorientiert, braucht sie künftig weniger Geld für nachhaltige Maßnahmen wie Weiterbildungen oder Coachings.
Die sozialpolitische Abstimmung von Schwarz-Rot lässt sich indes unter zwei Merkmalen subsumieren: Arbeitskräftebeschaffung und Entbürokratisierung. Letzteres ist bereits aus Ampel-Zeiten bekannt. Was dagegen – im Vergleich zum Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung – ausbleibt, sind sozialpolitische Großprojekte. So fällt kein Wort zu einer Kindergrundsicherung, die einst Kinderarmut abschaffen sollte. »Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Wort Kinderrechte im Koalitionsvertrag nicht einmal vorkommt«, kommentiert Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks. Zwar will die Koalition »Kinderarmut wirksam bekämpfen«, dazu würden die vereinbarten Maßnahmen aber bei Weitem nicht ausreichen, so Krüger.
Ebenfalls spärlich vorhanden sind konkrete Zahlen. So finden die 100 000 neuen jährlich leistbaren Wohnungen, mit denen sich Klara Genwitz (SPD) zu profilieren suchte, keine Erwähnung mehr. An konkreten Maßnahmen für die Mietwohnungsproblematik hat es allein eine Verlängerung der Mietpreisbremse um vier Jahre in den Vertrag geschafft – für den Deutschen Mieterbund (DMB) »enttäuschend«. »Weder ein Mietenstopp oder Deckel, noch eine reduzierte Kappungsgrenze oder gar eine Länderöffnungsklausel finden sich im Koalitionsvertrag«, kritisiert Lukas Siebenkotten, Präsident des DMB. Die Maßnahmen hatte der DMB vorab gefordert.
Armutsbetroffene werden unter der kommenden Koalition leiden.
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Caren Lay, Expertin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik für Die Linke, geht noch weiter und bezeichnet den Vertrag als »Bankrotterklärung gegenüber der anhaltenden Mietenexplosion«. Wohnpolitisch scheint das Motto der neuen Bundesregierung nicht Mietsenkung, sondern »Bauen, bauen, bauen« zu sein – so schnell und viel wie möglich. Bei Klimaschutzmaßnahmen sehe es dagegen »richtig mau aus«, so Hanna Steinmeier, Berichterstatterin für Wohnungs- und Mietenpolitik der Grünen. Die Baubranche freut sich indes über eine Koalition, die »gutes Bauen« voranbringe.
Während sich der Fachkräftemangel in der Baubranche also stärker ausprägen könnte, geht es im Bereich Rente um Arbeitskräftebeschaffung durch diverse Steuererleichterungen für längeres Arbeiten. Auch in der neuen Grundsicherung setzen CDU und SPD vorrangig darauf, Menschen möglichst schnell wieder in Arbeit zu bringen. Notfalls durch Sanktionen, die »schneller, einfacher und unbürokratischer umgesetzt werden« sollen.
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Jobcenter griffen laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit bereits 2024 deutlich härter durch. Bei den Leistungsminderungen gab es einen Anstieg von 63 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das betrifft immer noch weniger als ein Prozent der Bürgergeld-Bezieher*innen, weil Arbeitsverweigerung in den seltensten Fällen Grund für den Bürgergeld-Bezug ist.
Sozialverbände wie der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisieren deswegen das arbeitsmarktpolitische Vorgehen. »Die Rückabwicklung des Bürgergeldes, die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs und die Verschärfung der Sanktionen gehen zu Lasten besonders benachteiligter Menschen«, so Hauptgeschäftsführer Joachim Rock. Ähnlich bemängelt der Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Michael Groß: »Es fehlen deutlichere Signale, um mit einem ›Sozialen Arbeitsmarkt‹ Menschen die Integration in das Berufsleben zu ermöglichen.« VdK-Präsidentin Verena Bentele sieht einen »Drehtüreffekt vorprogrammiert«. Damit spielt sie auf einen fehlenden Fokus zur langfristigen Eingliederung in den Arbeitsmarkt an. Personen die schnell zur Annahme von Arbeit gezwungen werden, neigen demnach dazu, diese bald wieder zu verlassen.
»Unzureichend aufeinander abgestimmt« ist die Koalition in Bezug auf ihren Wunsch zur Arbeitskräftebeschaffung und Migration. So müssten laut Vertrag die »Anreize, in die Sozialsysteme einzuwandern, deutlich reduziert werden«. Schon zu Beginn des Jahres machte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Druck, gegenteilig zu handeln. Berechnungen zeigten, dass der Aufbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ohne Migration von 0,4 Prozent rasch auf null sinken würde. Um diese Zahl zu steigern, bräuchte es eine Zuwanderung von 1,5 Millionen Erwerbspersonen. Und dazu wiederum sei ein offener Arbeitsmarkt essenziell.
Auch im Bereich der Inklusion steht die Beschaffung von Arbeitskräften im Fokus – um die »Aufnahme von Menschen mit Behinderung in den Allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern« –, allerdings erneut nicht um jeden Preis. So soll beispielsweise die Ausgleichsabgabe für Schwerbehinderte in Werkstätten und in stationäre Einrichtungen fließen. Für Bentele vom VdK ist das »eindeutig ein Rückschritt«. Die Ausgleichsabgabe zahlen Betriebe, wenn sie nicht genügend Menschen mit Behinderungen einstellen. Das Geld solle für den ersten Arbeitsmarkt verwendet werden, so Bentele.
Zumindest hat Schwarz-Rot bei der geplanten Entbürokratisierung und Digitalisierung barrierefreie Infrastruktur und inklusive Maßnahmen im Blick. Eine Forderung, die auch Armuts-, Obdachlosen- und Altenvertreter*innen seit Jahren stellen. Denn offiziell verfügen 41 Prozent der Menschen aus einkommensschwachen Haushalten über grundlegende digitale Kompetenzen – die Entbürokratisierung kann also, unreflektiert umgesetzt, zu einer Exklusionsmaßnahme werden. Allerdings werden Armutsbetroffene unter der kommenden Koalition ohnehin leiden, wie Groß von der AWO feststellt.
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