»End Cement«-Aktivistin: »Es braucht diesen öffentlichen Druck«

Mit einem Festival demonstrierte die Initiative »End Cement« gegen einen Bauriesen – und für eine Bauwende.

Sieben Stunden brauchten Polizisten, um einen Aktivisten von der Zufahrt zu Heidelberg Materials zu lösen – wegen eines »betonartigen« Klebers.
Sieben Stunden brauchten Polizisten, um einen Aktivisten von der Zufahrt zu Heidelberg Materials zu lösen – wegen eines »betonartigen« Klebers.

Kohle, Gas, Verkehr – das sind klassische Themen der Klimabewegung. Sie richten sich gegen die Zementindustrie. Warum?

Die Zementproduktion verursacht acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Und da auf der ganzen Welt immer mehr Beton verbaut wird, ist die Produktion in den letzten Jahrzehnten auch enorm gestiegen. Dafür wollen wir mehr Bewusstsein schaffen. Hier in Heidelberg, direkt gegenüber des Camps, sitzt mit »Heidelberg Materials« der zweitgrößte Zementkonzern der Welt.

Unsere Welt ist im wahrsten Sinne auf Zement gebaut: Er ist eine wichtige Zutat für Beton, der sich nicht einfach durch »Holz oder Lehm« ersetzen lässt, wie Sie es fordern. Ist »End Cement« nicht ein bisschen hochgegriffen?

Das Problem mit Zement ist, dass die Herstellung nicht nur enorm energieintensiv ist, sondern durch die Entsäuerung von Kalkstein auch unabhängig davon große Mengen an CO2 ausgestoßen werden. Selbst mit grüner Energie wäre die Zementherstellung also noch klimaschädlich. Die Forderung »End Cement« ist natürlich utopisch: Sie zeigt auf, wo wir langfristig hinwollen.

Interview

Darya Sotoodeh, 27, ist Klimaaktivistin und engagiert sich neben der Kampagne »End Cement« auch bei Fridays for Future. Sie studiert Übersetzungswissenschaft in Heidelberg.

Und zwar?

Unter einer Bauwende verstehen wir mehr als die Suche nach alternativen Baustoffen. Es geht auch um die Frage, ob wir überhaupt so viel abreißen müssen – es kann auch mehr saniert werden. Und wie sollten wir überhaupt Wohnraum verteilen? Zu diesen Themen hatten wir während des Festivals viele Workshops und Vorträge, zum Beispiel von Architekt*innen. Wir wollen in die Gesellschaft tragen, dass es eine andere Wohnungspolitik braucht und eine andere Form des Zusammenlebens.

Wie wollen Sie das erreichen?

Hier vor Ort fordern wir von der Stadt Heidelberg, dass sie einen repräsentativen Bürger*innenrat zur Bauwende ins Leben ruft. Die Menschen, die hier leben, sollen selbst entscheiden können, wie ihr Wohnraum gestaltet wird.

Noch mal zurück zu den harten Fakten der Zementherstellung: Wenn dabei per se CO2 entsteht, ist es dann nicht genau richtig, nach Technologien zu suchen, die das verhindern sollen – wie etwa dem Speichern von CO2 im Beton selbst? Sie kanzeln das als »Techno-Optimismus« ab.

Natürlich ist es sinnvoll, das zu machen. Aber es kann nicht der einzige Lösungsansatz sein. Das ist der entscheidende Punkt: Heidelberg Materials stützt sich eigentlich nur darauf, technologische Einsparungsmaßnahmen zu fördern und dadurch CO2 einzusparen.

In einem öffentlichen Brief reagierte Heidelberg Materials auf Ihren Protest mit dem Verweis, der Konzern werde bis zum Jahr 2030 die eigenen Emissionen um ein Viertel zu senken und bis 2050 klimaneutral sein.

Das dauert trotzdem viel zu lange. Und die angepeilten Maßnahmen reichen auch nicht dazu aus, um den gesamten Ausstoß der Zementproduktion einzufangen.
Eine wirkliche Dekarbonisierung kann nur funktionieren, wenn weniger Zement hergestellt wird. Aber das widerspricht natürlich der Profitlogik von Heidelberg Materials. Deshalb zeigt das Unternehmen auch kein Interesse an einer anderen Baupolitik: Es profitiert davon, dass ständig Gebäude abgerissen werden, dass ständig neu gebaut wird.

Auf Ihrer Website steht auch der Satz: »Heidelberg Materials handelt mafiös und neokolonial«. Ein schwerwiegender Vorwurf. Wie rechtfertigen Sie ihn?

Das ist der andere große Punkt, warum wir das Unternehmen kritisieren. An vielen Orten verletzt es Menschenrechte. Zum Beispiel in Indonesien, der West-Sahara, Palästina und Togo. Seit Jahren verweigert sich Heidelberg Materials gegen unsere Forderung, einen unabhängigen Menschenrechtsbericht vorzulegen. Auf dem Festival war zum Beispiel die Gruppe »Watch Indonesia« dabei. In Indonesien soll das Kendeng-Gebirge abgebaut werden – für indigene Menschen ist das Gebirge aber eine wichtige Wasserquelle, ein Abbau könnte zu Wasserknappheit führen. Deswegen gibt es seit Jahren verschiedene Klagen und Proteste, die den Abbau immer wieder verzögern konnten.

Am Donnerstag ging das Festival zu Ende. Aufmerksamkeit erlangte vor allem eine mehrstündige Straßenblockade, die laut Heidelberg Materials Umsatzeinbußen in einem sechsstelligen Bereich verursachte. Ihr Fazit?

Die Aktionen standen nicht in direkter Verbindung zu dem Festival. Das Camp sollte einen breiten Teil der Gesellschaft ansprechen. Gleichzeitig halten wir diese Aktionen für strategisch wichtig. Die Reaktion von Heidelberg Materials kam erst, nachdem diese Aktionen stattgefunden haben. Und da wurde betont, dass sie an einem Austausch interessiert sind. Aber gleichzeitig wurden viele unserer Gesprächsangebote seit Jahren immer wieder abgelehnt oder einfach nicht beantwortet. Das beweist: Es braucht diesen öffentlichen Druck.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -