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Gesundes Essen ist kein Hexenwerk

Foodwatch-Gründer Thilo Bode über Verbraucherwünsche, die Praxis der Ernährungsindustrie und schlechte Gesetze

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 7 Min.

Seit 2002, dem Gründungsjahr von Foodwatch, hat sich die Debatte um die Themen Ernährung und Lebensmittel unglaublich entwickelt. Hatten Sie das erwartet?
Für mich ist die große Frage, ob sich das nicht auch ohne uns so entwickelt hätte. Uns ist es sicher gelungen klarzumachen, dass es nicht nur um Verbraucherschutz geht, sondern auch um eine politische Debatte, um Grundrechte, um Transparenz und um Demokratie im weiteren Sinne. Erreicht haben wir auch, dass die Unternehmen ihr Verhalten zum Teil veränderten. Das Entscheidende aber, nämlich alles auch in Gesetzesform zu gießen, haben wir bisher nur in wenigen Fällen geschafft.

Bei gesundheitsgefährdenden Stoffen wie Acrylamid wurden neue Grenzwerte eingeführt. Bei solchen »gesundheitsnahen« Problemen waren sie also nicht erfolglos.
Wenn Sie das so sehen, ist das okay. Wir haben etwa im Zuge des Dioxinskandals entscheidende Schwachstellen bei der Futtermittelindustrie aufgedeckt. Die Gesetzeslage ist allerdings noch immer unbefriedigend. Derzeit nimmt eine neue Debatte Fahrt auf: über Zucker und dessen Folgekrankheiten wie Diabetes. Ich hatte es selbst nicht erwartet, dass sich das Thema Lebensmittel so breit entwickelt. Der Anlass, Foodwatch zu gründen, war der BSE-Skandal. Aus dem Grund haben wir uns mit Futtermitteln befasst. Wir haben aber gemerkt, dass dieses komplexe Thema zu weit weg ist von den Bürgern - Menschen essen keine Futtermittel. Also wandten wir uns verbrauchernäheren Dingen zu. Ich denke schon nach, warum wir es bei gewissen Themen wie einer klaren Lebensmittelkennzeichnung in Form einer Nährwertampel, wo wir die überwiegende Mehrheit der Leute hinter uns haben, trotzdem nicht schaffen, das in gute Gesetze zu gießen. Das ist doch kein Hexenwerk.

Zur Person

Der Volkswirt und Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode (geb. 1947) hat vor 15 Jahren die Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch gegründet. Mit ihm sprach Jörg Staude.

Muss man nicht sehen, dass wir es bei Agrar und Ernährung mit einer Megaindustrie zu tun haben?
Die Kräfte, gegen die wir angehen, sind gewaltig. Man kann den Vergleich mit der Tabakindustrie ziehen. Mit einem ähnlich großen Gegner setzen wir uns auseinander. Die Lebensmittelkonzerne beeinflussen inzwischen genauso wie die Tabakunternehmen wissenschaftliche Studien und behaupten zum Beispiel, Zucker sei kein Problem für die Ernährung. Irgendwann werden wir den Trend zu unseren Gunsten kippen, weil die Evidenz und die Kosten der Täuschungen so groß werden.

Das Thema Ernährung ist auch so schwierig, weil es sozial und kulturell aufgeladen ist. Die Mehrheit der Leute will sich gesund ernähren. Wenn aber am Monatsende kaum etwas vom Einkommen übrig ist ...
Gesundes Essen darf nicht zum Luxus werden. Mir war die Werbung für ökologische Nahrung oft etwas elitär. Das Problem ist: Im Lebensmittelmarkt ist teuer nicht gleich gut und billig nicht gleich schlecht. Wir haben Dutzende von Produkten untersucht. Verbrauchertäuschung findet bei günstigen Produkten genauso wie bei teuren Markenprodukten statt. Wenn Menschen nicht genug Geld haben, um sich ausgewogen zu ernähren, ist das eine Frage von Sozialpolitik und Gerechtigkeit in der Gesellschaft und nicht des Lebensmittelmarktes. Ich finde, in Deutschland, einem der reichsten Industrieländer, muss sich jeder gesund ernähren können. Das ist auch nicht mit dem Argument abgetan, die Menschen würden sich lieber einen neuen Fernseher kaufen oder in den Urlaub fahren, als Geld für Essen auszugeben. Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass es bestimmten Bevölkerungsgruppen schlicht nicht möglich ist, sich gesund zu ernähren.

Preise von Lebensmitteln sind emotional, hochpolitisch und schon Gründe für Revolten gewesen.
Genauso klingt das in der Verbraucherpolitik, wenn es heißt, Lebensmittel müssten bezahlbar bleiben. Wenn das aber als Ausrede gilt, um an den Strukturen nichts zu ändern, muss man fragen: Was heißt denn bezahlbar? Was nützt es, wenn ich billige Nahrungsmittel habe, aber Milliardenkosten im Gesundheitswesen durch ernährungsbedingte Krankheiten? Mit der Forderung nach bezahlbaren Lebensmitteln ködert man vor allem die öffentliche Meinung. Das müssen wir klar machen.

Jede und jeder, der in einen Laden geht und Lebensmittel kauft, muss wenigstens sicher sein können, dass dieses Lebensmittel seiner Gesundheit nicht schadet. Ist dies so?
Mit dem seit 2002 geltenden Lebensmittelrecht ist diese Forderung erfüllt - zumindest in der Theorie. Denn laut der in Folge der BSE-Krise erlassenen EU-Lebensmittelbasisverordnung gelten schon der Anschein oder die Möglichkeit der Täuschung oder die Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung als Täuschung und Gefährdung. Die Hersteller dürften also nicht einmal auf den Gedanken kommen, versuchsweise zu täuschen.

Aber das Schlimme ist: Dieses gute Lebensmittelrecht, das die Europäer unter dem Schock der BSE-Krise gemacht haben, hat sich in der praktischen Rechtsetzung nicht niedergeschlagen - im Gegenteil: 15 Jahre danach wird jetzt die Schraube wieder zurückgedreht. Im Grunde haben wir ein fortschrittliches Lebensmittelrecht, aber miserable Lebensmittelgesetze. Die Leute fragen: Was kann der Verbraucher tun? Darauf kommt es gar nicht an. Der Verbraucher muss vom Staat geschützt werden.

Ist das Versprechen gesunder Ernährung überhaupt einlösbar, wenn man an Mikroplastik in Fischen, Nitrate in Ackerböden, Hormone im Fleisch oder Arzneimittelrückstände im Trinkwasser denkt?
Ja, auch wenn etwa Dioxine in der Umwelt schon ubiquitär (überall, d. Red.) verteilt und gerade in Altindustriegebieten und in der Ostsee virulent nachweisbar sind. Übrigens: Die Höhe der Dioxin-Grenzwerte richtet sich nicht in erster Linie danach, wie viel Gift gesundheitlich vertretbar ist, sondern bei Produkten wie Fischöl oder -leber aus der Ostsee spielen Vermarktungsmöglichkeiten ebenfalls eine Rolle. Bei Ostseefischen zum Beispiel, die besonders viel Dioxin enthalten, wird ein höherer Grenzwert akzeptiert, damit genügend Ware auf den Markt gelangt. Das muss man sich mal vorstellen. Da wird Gesundheitsschutz außen vor gelassen.

Was könnte gegen solche Probleme getan werden?
Um sicherere und gesündere Lebensmittel durchzusetzen, braucht es die entsprechende Politik. Diese wird jedoch nicht gemacht, um etwa die Verbraucher vor hohen Preisen zu schützen, sondern um die Interessen der Produzenten nicht anzugreifen. Dass aber nicht einmal die existierenden Spielräume, um eine höhere Sicherheit und Qualität für die Verbraucher ohne schmerzhafte Preissteigerungen zu erreichen, genutzt werden, macht einen schier verrückt. Beispielsweise der Pestizidgehalt in der Nahrung lässt sich auch in der konventionellen Landwirtschaft durch eine ökologischere Praxis erheblich reduzieren. Das zeigen die zum Teil strengeren Standards der Discounter. Auch umstrittene Zusatzstoffe, strengere Dioxinkontrollen bei Futtermitteln, weniger versteckter Zucker, all das ließe sich preisneutral gestalten.

Was kann der neue Ableger Foodwatch International dafür tun?
Wir wussten, dass wir es im Agrar- und Lebensmittelbereich mit europäischen Gesetzen zu tun haben. Die Lebensmittelindustrie agiert zusammen mit der Agrarbranche auf dem am weitesten harmonisierten Binnenmarkt Europas. Als es um gesetzliche Veränderungen wie Dioxinkontrollen oder Nährwertkennzeichnung ging, spürten wir, dass es nicht reicht, nur in einem Mitgliedsstaat verankert zu sein. Mehr oder weniger zufällig begannen wir 2009 in den Niederlanden mit Foodwatch Netherlands. 2014 folgte Frankreich. Unser Ziel war, mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit auch die europäische Politik zu beeinflussen. Foodwatch International soll die Koordination verbessern.

Obwohl mit Martin Rücker seit dem 1. April ein Nachfolger für Foodwatch Deutschland gefunden ist, setzen Sie sich noch nicht zur Ruhe.
Ewig kann ich das natürlich nicht machen. Übrigens hatten wir geplant, für Foodwatch International eine europäische Rechtsperson zu gründen. So etwas gibt es für Nichtregierungsorganisationen aber nicht: NGOs können sich - anders als Firmen - nicht als europäisch agierende Organisationen aufstellen. So muss unsere deutsche Organisation weiter eine Art »Muttergesellschaft« bleiben. Es ist kein Zufall, dass NGOs das schwer gemacht wird. Die europäische Integration erfolgte primär aus wirtschaftlicher Perspektive, die Stärkung der Zivilgesellschaft spielte keine Rolle.

Für die Ernährung engagiert sich inzwischen eine breite aktivistische Bewegung. Was halten sie von Foodsavern und -sharern?
Die Arbeit der Initiativen ist sehr ehrenwert. Lebensmittelverschwendung einzudämmen ist eine gute Sache. Es fehlt aber oft eine klare politische Botschaft. Lebensmittelverschwendung ist doch auch eine Folge dessen, wie produziert und gehandelt wird.

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