Kiwi-Volksfront gegen Ratten & Co.
Neuseeland plant die Ausrottung invasiver Tierarten, die heimische Spezies bedrohen. Von Michael Lenz
Mit den Kiore fing alles an. Zwischen 1250 und 1300 kamen die Polynesier in mehreren Wellen in das damals unbesiedelte Neuseeland und zusammen mit ihnen die Kiore, die pazifische Ratte. Mit der menschlichen Besiedlung Neuseelands begann für die außergewöhnliche Tier- und Pflanzenwelten der Inseln ein bis heute anhaltendes Drama.
Etwa 300 Jahre später kamen mit den Europäern noch mehr Ratten, aber auch Hunde, Katzen, Kaninchen, Possums und Wieselarten nach Neuseeland. Mit den gefräßigen Räubern, die sich zudem mangels natürlicher Feinde hemmungslos vermehren konnten, war es aus mit Neuseeland als Paradies für Vögel, Eidechsen und Frösche. Viele einheimische Tierarten wurden durch die eingeführten Raubtiere bereits ausgerottet. Andere, wie der kleine, unscheinbare Laufvogel Kiwi, stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten.
Bis zum Jahre 2050 will man diese negative Entwicklung stoppen. »Predator Free New Zealand by 2050« heißt das Programm der neuseeländischen Regierung zur Ausrottung aller invasiven Arten. Wer jetzt vermutet, der regierungsamtliche Vernichtungsfeldzug habe zu einem wütenden Aufschrei in der neuseeländischen Bevölkerung geführt, der irrt.
Die neuseeländischen Grünen zum Beispiel haben einen Plan zur Finanzierung des milliardenteuren Vorhabens vorgelegt. Umweltministerin Maggie Barry von der konservativen Nationalen Partei spricht ihren Landsleuten aus dem Herzen, wenn sie sagt: »Neuseelands einzigartige einheimische Tiere und Pflanzen stehen im Zentrum unserer nationalen Identität.« Die Neuseeländer nennen sich selbst stolz »Kiwis« nach dem flugunfähigen Vogel. Die internationale Natur- und Tierschutzorganisation IUCN preist Neuseeland als Vorbild für die Bekämpfung invasiver Arten.
Die Planung des ambitionierten Ausrottungsprogramms ist James Russell zugefallen. Zusammen mit Kollegen erforscht der Wissenschaftler von der Universität Auckland geeignete Methoden für das Programm. Neuartige Köder sollen ebenso her wie artenspezifische Giftstoffe, genetische Manipulation der Fortpflanzungsmöglichkeiten der Tiere und mit Duftsensoren ausgestattete Drohnen zur Aufspürung versteckter Vorkommen bestimmter Tierarten.
Seinen Job hat Russell einem Misserfolg zu verdanken. Vor zwölf Jahren setzte der damalige Doktorand mit Peilsendern ausgestattete Ratten auf einer Insel aus, um herauszufinden, wie sich die Tiere dort verbreiten. Dummerweise entkam eine inzwischen dank der Doktorarbeit Russells und einem Kinderbuch als Razza berühmt gewordene Ratte auf eine Nachbarinsel.
18 Wochen brauchte Russell, um Razza zu jagen. Wäre die wissenschaftliche Karriere im Eimer gewesen, hätte er Razza nicht aufgespürt? »Ich wäre wahrscheinlich immer noch ein Wissenschaftler. Aber wahrscheinlich weniger berühmt-berüchtigt und wohl nicht mit einer so guten Geschichte«, sagte Russell dem »nd«.
Weltweit wurden mehr als 1000 Inseln von invasiven Tieren befreit und in Neuseeland gab es bereits 200 solcher Mega-Ausrottungen. Aber die Gebiete waren jeweils sehr klein. Mit 128 Quadratkilometern war die australische Insel Macquarie das größte Gebiet, das jemals von invasiven Arten befreit wurde.
Neuseeland aber erstreckt sich über 268 000 Quadratkilometer. Zudem bieten Städte ideale Verstecke für Ratte & Co. Russell lässt sich davon nicht schrecken. »Ich denke, Wissenschaftler müssen realistisch und ehrlich sein, wenn es darum geht, was durch die Anwendung ihrer Wissenschaft erreicht werden kann, und sie müssen die richtige Balance zwischen Anspruch und Pragmatismus finden.«
Wie genau die Megaausrottung funktionieren soll, weiß noch niemand genau. Russell vertraut auf wissenschaftliche Fortschritte und den gesellschaftlichen Rückhalt.
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