Attention: Die Front National regiert anders
In Südfrankreich zeigen die Rechtsradikalen, wie sie Demokratie für sich nutzen
Boule-Platz, Stände mit Seife aus Marseille und Oliven aus der Provence – schön ist der Markt auf dem Place de la République in der Stadt Fréjus an der Côte d'Azur. Auf dem Platz hält ein Gebäude seine Türe weit offen. Darin sitzt der älteste Verein der südfranzösischen Stadt: Seit 90 Jahren passt das Comité de Défense des Intérêts Généraux de Fréjus-Plage auf die Strandgebiete der Stadt auf, damit sie im Interesse der BewohnerInnen entwickelt werden. »Für unsere Jubiläumsfeier planen wir eine Ausstellung«, sagt der Vorsitzende Jean-Paul Radigois. Es könnte der letzte runde Geburtstag sein, fürchtet er. Die Regierung der Front National (FN) habe ihre eigenen Interessen angemeldet.
Radigois zeigt auf ein merkwürdiges Plakat. Daran sind zwei Briefe geklebt – einer zur Beschlagnahmung des Lokals durch die Wehrmacht im Jahr 1942, der andere von Ende Februar verlangt ebenfalls die Herausgabe des Lokals. Hier sollten unter anderem eine Boule-Schule und eine Beratungsstelle des Rathaus eröffnet werden, »um die Nachbarschaftspolitik und die lokale Demokratie zu unterstützen«. »Wir sind jetzt im Visier des Rathaus, weil wir den Verkauf hinterfragen«, erklärt Jean-Paul Radigois. In den vergangenen Jahren wurden bereits öffentliche Grundstücke für 36 Millionen Euro verkauft. Davon wurden 15 Millionen genutzt, um Schulden zu tilgen. Aber was ist aus dem Rest geworden? Der 76-jährige pensionierte Architekt zuckt mit den Schultern: »Wir sind leider nicht die ersten Betroffenen.«
Hier regiert der Wahlkampfmanager
Vor drei Jahren wurde mit 45,55 Prozent der abgegebenen Stimmen David Rachline, der Wahlkampfleiter von Marine le Pen, zum Bürgermeister von Fréjus gewählt. Seitdem sollte in der 52.000-Einwohner-Stadt alles »Marine-blau« laufen. »Die Mitglieder der Front National aus unserem Rathaus setzen überall ihre Vertrauensleute ein, sie ertragen keine Gegenstimmen«, sagt Jean-Paul Radigois. »Wir tendieren langsam zu einer ‘Demokratie à la Putin’, es merkt nur kaum einer.«
Symbolisch für diese Entwicklung steht die Sozialeinrichtung im Stadtteil Villeneuve. Ein engagierter Bewohner des Stadtteils erklärt: »Wir hatten hier eine funktionierende Einrichtung.« Gérard Setboune hat selbst 20 Jahre lang im Bereich Sport für das Rathaus gearbeitet. Die Rente kam »rechtzeitig«, er ist jetzt stellvertretender Vorsitzender im »Forum Republicain«, einer Bürgerbewegung gegen den FN-Bürgermeister in Fréjus. »Die Direktorin der Einrichtung hatte sich in der Presse gegen die Auffassung des Rathauses geäußert. Das hat gereicht, um Subventionen und die Räumlichkeiten zu verlieren«, erzählt Gérard Setboune. »Jetzt sitzen hier andere Leute und auch das Angebot ist ein anderes.«
Dies bestätigt die für den Stadtteil zuständige Stadträtin. »Wir haben die Sozialeinrichtung in Villeneuve geschlossen. Wir konnten unsere Lokale mit einem Infopunkt für junge Leute besetzen und eine Beratungstelle aufmachen. Dafür kommen neue BewohnerInnen in den Stadtteil.« Auf ihrer Jacke trägt Jocelyne Montesi eine riesige Brosche mit der Aufschrift »Marine Présidente«. »Wir wurden für die Schließung der Sozialeinrichtung kritisiert, es gibt auch die üblichen Gerüchte, wir würden als nächstes Bibliotheken schließen, Bücher verbrennen usw. Das ist Schwachsinn!«, so Montesi. Über die Eröffnung einer Polizeistation mitten in der neuen Einrichtung verliert sie kein Wort.
Der Kampf um Information
»Wer mit der Front National in Berührung kommt, versteht, dass sie wirklich mit keiner anderen Partei vergleichbar ist«, sagt Eric Farel. Zuständig ist der Journalist für die Fréjus-Seiten in der Regionalzeitung »Var Matin«. »Acht Monate lang hat uns das Rathaus einfach keine Informationen mehr gegeben, nicht mal die Todesanzeigen, die für eine Regionalzeitung so wichtig sind«, berichtet Farel. 2015 hat er an einem Buch über die Beziehungen der FN zur Lokalpresse mitgearbeitet: »Ich habe die Techniken der Front National im Umgang mit den Medien beschrieben. Erst geben sie keine Infos und wenn der Artikel publiziert ist, fordern sie Gegendarstellungen. Heute könnte ich noch viel mehr erzählen.«
Eric Farel hat das »System Rachline« durchschaut: »Der Bürgermeister fordert nur eines von seinen StadträtInnen. Sie müssen ihren Beruf aufgeben. Damit schafft Rachline ihre totale Abhängigkeit der Partei gegenüber.« Gleichzeitig ist dem Journalist aufgefallen, dass der Partei nahestehede Unternehmen viele öffentliche Gelder erhielten, sie es für die Kommunikation der Stadt zu ihren Bürgern oder für das Management von Veranstaltungen in Fréjus. Der Kollege blickt auf das neueste Rathaus-Magazin auf seinem Schreibtisch. »Das ist Propaganda in Reinform«, sagt er zu einem Artikel über einen Moscheebau. »Der Bürgermeister will sie abreißen lassen, der Conseil d'Etat aber hatte ihre Eröffnung durchgesetzt«, erklärt Farel.
Sicherheit und Liebe
Auf dem Marktplatz wird derweil die Sitchwahl um die Präsidentschaft Frankreichs vorbereitet. Nach wie vor weht keine EU-Fahne an der Fassade des Rathauses. Ein paar Schritte entfernt liegt ein belebtes besuchtes FN-Quartier. Auf einer Terrasse trinken StadträtInnen Kaffee mit Polizisten. Patrick Loidreau, Wirt des Restaurant Les Micocouliers, gefällt das. »David Rachline regiert hier als guter Familienvater«, sagt der 60-Jährige, während er bedient. »Die Steuern sind nicht gestiegen, die Polizei arbeitet rund um die Uhr für unsere Sicherheit und die Touristen kommen.«
Patrick war von der Politik des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy enttäuscht. Seitdem gibt er seine Stimme der Front National. »Ich habe die 144 Engagements von Marine gelesen und vertraue ihr. Marine kann Frankreich wieder erheben.« Seine 19-jährige Nichte hat die blaue Blüte der »Patrioten« an ihrem Polo-Shirt festgesteckt. »Was ich an der Partei mag, ist die Liebe für unser Land. Um den Terrorismus zu bekämpfen, müssen wir für unsere patriotischen Werte kämpfen.« Clothilde spricht sehr erwachsen. »Wir verteilen heute noch Flyer für Marine auf dem Markt, um die Leute aufzurütteln. Sie sollten sich der Bedeutung der Wahl bewusst werden.« Trotz Sonnenschein wirkt die Luft in Fréjus schwül, als würde ein Gewitter bevorstehen. Vielleicht wird das Wetter am Sonntag besser. Bis dahin fahren die Polizeistreifen weiter durch die kleine FN-Stadt.
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