Vorlesen gegen den Hass

Am 10. Mai erinnert die LINKE auf dem Bebelplatz an die Bücherverbrennung der Nazis

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich habe Gefährlicheres erlebt, Tödlicheres – aber Gemeineres nicht«, schrieb Erich Kästner über die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten am 10. Mai 1933. Der Schriftsteller hatte als 34-Jähriger die inszenierte Aktion gegen die Freiheit des Wortes mit eigenen Augen auf dem Opernplatz in Berlin mit angesehen. Als einziger der von den Nationalsozialisten als »undeutsch« geächteten Schriftstellern schaute er zu, wie unter den 20 000 Büchern auch seine Werke auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.

Auch wenn der Dresdner Erfolgsautor damals noch nicht ahnen konnte, welche monströsen Verbrechen das NS-Regime noch begehen würde, war ihm klar: Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man irgendwann auch Menschen. Die von der »Deutschen Studentenschaft« in Berlin und 22 weiteren Universitätsstädten in vorauseilendem Gehorsam organisierte öffentliche Bücherverbrennung, hat Kästner später als willfähriges Einreihen der Studenten in die Reihen des Nationalsozialismus beschrieben, als bewusste Abrechnung mit dem akademischen Dialog zugunsten brutaler Gewalt.

Für Kästner richtete jede Generation von Studenten »ihre eigenen Ansprüche auf jede künftige Meinungsfreiheit hin«. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Schriftsteller nicht müde, mit Verweis auf die Bücherverbrennung vor negativen gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit zu warnen.

Das ist auch der Anspruch des »Lesens gegen das Vergessen«. Wenn die Linkspartei an diesem 10. Mai wieder das »Lesen gegen Vergessen« als mahnende Veranstaltung auf dem Bebelplatz organisiert, werden auch Texte von Kästner vorgelesen werden. »Kästner ist wie jedes Jahr im Programm. Mitgliedes des Theaters an der Parkaue werden aus dem umfangreichen Werk des Schriftstellers lesen«, sagt Gesine Lötzsch. Die Bundestagsabgeordnete der LINKEN ist Organisatorin des »Lesens gegen das Vergessen«, bei dem Politiker und Kulturschaffende ausgewählte Texte von Schriftstellern vorlesen, die 1933 öffentlich verbrannt wurden.

Der heutige Bebelplatz ist nicht nur der historische Opernplatz, sondern auch Mahnmalstätte. Das von dem israelischen Künstler Micha Ullmann geschaffene Denkmal, eine in den Boden eingelassene Platte, unter der leere Bücherregale zu sehen sind, befindet sich hier. »Die Geschichte wird von rechten Parteien neu erfunden. Dabei spielen historische Fakten immer weniger eine Rolle. Das ist ein gefährlicher Trend«, erklärt Lötzsch mit Blick auf Fake-News und Versuche von Politikern der Alternative für Deutschland (AfD), eine neue Erinnerungskultur herbeizureden.

Es geht aber nicht nur um Deutschland. Kritische Autoren seien in vielen Teilen der Welt auch heute massiver Repression ausgesetzt, sagt Lötzsch, ihre Bücher werden verbannt und zensiert. »Wer nicht will, dass sich Geschichte wiederholt, der muss die Gegenwart verändern«, meint Lötzsch. Sie freue sich, dass auch in diesem Jahr wieder Schüler und junge Leute auf dem Bebelplatz mit dabei sein werden.

Heine, Zweig, Brecht, Feuchtwanger, Glaeser, die Liste der Autoren, die 1933 verbrannt wurden, ist lang. Insgesamt 131 Schriftsteller standen auf den Verbrennungslisten der Faschisten. Nichts wurde dem Zufall überlassen, die infernalische Inszenierung sollte perfekt sein. Aus den Werken aller Autoren öffentlich vorzulesen, ist aufgrund der Fülle nicht möglich. Beim »Lesen gegen das Vergessen« stehen Einige für die Vielen als Zeichen gegen Gewalt und Intoleranz.

»Lesen gegen das Vergessen«, 10. Mai, 17 bis 19 Uhr auf dem Bebelplatz, Mitte

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