Ungemütliche Bürgersprechstunde
Proteste gegen die Abschaffung von Obamacare in den USA
Viele Amerikaner sind gerade wütend. Ziemlich wütend. Über die Abschaffung von Obamacare durch den American Health Care Act (AHCA), den die Republikaner letzten Freitag im Kongress verabschiedet haben. Diese Woche macht das US-Repräsentantenhaus eine Woche Ferien. Während dieser sitzungsfreien Zeit halten viele Abgeordnete sogenannte »Town Hall Meetings« in ihren Heimatbezirken ab. Diese sind aktuell für die Republikaner ziemlich ungemütlich.
»Keine stirbt, nur weil er keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung hat«, erklärte der Republikaner Paul Labrador jüngst bei einer Bürgersprechstunde in seinem Bezirk in Idaho. Im Saal folgte daraufhin ein Proteststurm, wie ein Video zeigt, das sich am Wochenende im Internet verbreitet hat. Später ruderte das Mitglied des ultrakonservativen Freedom Caucus in einer Erklärung auf Facebook zurück.
Eine seiner Antworten sei »nicht sehr elegant« gewesen, gab der Republikaner zu und bedauerte, dass sich die Medien nun auf einen »fünf Sekunden Clip stürzen«. Labrador argumentiert, er habe die Unterstellung zurückweisen wollen, dass Leute »auf der Straße« sterben würden. In der Tat dürfen die Notaufnahmen amerikanischer Krankenhäuser niemanden ablehnen, der auf Notbehandlung angewiesen ist. Doch einer Studie der Harvard Medial School von 2009 zufolge starben vor der Einführung von Obamacare jährlich 45.000 Amerikaner, weil sie keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung hatten.
Labrador ist nicht der einzige Republikaner, der sich dieser Tage wütenden Bürgern stellen muss. »Geh hin, verleih deiner Stimme Gehör«, so mobilisieren den Demokraten nahestehende Aktivisten in diesen Tagen die Amerikaner dazu, ihre Ablehnung gegen Trumpcare in die Bürgersprechstunden zu tragen. In einer Online-Karte zeigt des »Town Hall Project« mehrere Dutzend Bürgersprechstunden im ganzen Land.
Einige republikanische Abgeordnete versuchen mittlerweile, sich vor dem Bürgerprotest zu verstecken und halten keine Sprechstunden mehr ab, sind nur noch per Telefon für die Bürger erreichbar oder verbieten das Mitbringen von Protestschildern, so wie Tom MacArthur. Der republikanische Abgeordnete aus einem relativ demokratischen Bezirk in New Jersey hatte zwischen den konservativen Abgeordneten des Freedom Caucus und moderaten Republikanern vermittelt.
Andere Abgeordnete wie Rod Blum aus Iowa versuchen, die Besucher ihrer Bürgersprechstunden genauer auszuwählen und denjenigen den Zutritt zu verwehren, die nicht im Bezirk wohnen. Wie nervös einige Republikaner sind, zeigte sich, als Blum am Dienstag ein Interview mit einem Lokalreporter entnervt abbrach. Trotz sorgfältiger Auswahl der Teilnehmer gab es bei der anschließenden Bürgersprechstunde des Republikaners viele kritische Fragen.
Schon im Februar hatte es im ganzen Land Proteste in den »Town Halls« republikanischer Abgeordneter gegeben. Die »Störer« in den Town Halls seien »bezahlte Demonstranten« twitterte Trump damals. Offenbar auch unter dem Eindruck des Protests in ihren Heimatbezirken hatten Ende März zwei Dutzend Abgeordnete erklärt, nicht für Trumpcare stimmen zu wollen. Doch das Weiße Haus und die Führung der Republikaner machte weiter Druck auf die zögernden Abgeordneten. Letzten Freitag stimmte dann doch eine knappe Mehrheit von 217 Abgeordneten für Trumpcare.
Jeder Republikaner werde seine Stimme für die Abschaffung von Obamacare wie ein »Brandmal auf der Stirn tragen«, erklärte die Fraktionschefin der Demokraten Nanci Pelosi anschließend. Die Demokraten werden nun Wahlkampf machen gegen die Trumpcare-Republikaner. Sie hoffen, bei den Kongresswahlen nächstes Jahr die Mehrheit der Sitze auf dem »Capitol Hill« zurückzuerobern.
Wie das gehen könnte, machte der Demokrat Tom Periello in einem Wahlkampf-Video deutlich. Der von Bernie Sanders unterstützte ehemalige Kongressabgeordnete will im November Gouverneur von Virginia werden. Der Spot zeigt Periello vor einer Schrottpresse, die langsam einen Ambulanzwagen zerdrückt. »Mit mir wird es das nicht geben«, verspricht er.
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