Täglich Millionen Geiseln in der U-Bahn

Uralte Signaltechnik in New York als krasses Beispiel für Amerikas Infrastrukturprobleme

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.

New York, Spitzname »Big Apple«, ist auf manchen Gebieten Dritte Welt. Etwa wenn es um die Infrastruktur geht und vor allem, wenn die U-Bahn-Probleme der größten Stadt der USA aufgerufen sind. Die »New York Times« sprach wegen der Gefahren in der 1904 eröffneten Subway jetzt von »sechs Millionen Geiseln, die New Yorks U-Bahn jeden Tag nimmt«. Knapp sechs Millionen Passagiere täglich werden an Werktagen zu 472 Stationen befördert - keine andere Metro verfügt über ein so ausgedehntes Netz wie die Metropolitan Transportation Authority (MTA), Betreiberin der New Yorker U-Bahn.

Die größte U-Bahnanlage ist dabei zugleich eine der überholungsbedürftigsten. Vor allem die Signaltechnik stammt großenteils aus den 30er Jahren und hat ihre geplante Lebenserwartung vielfach Jahrzehnte überschritten. Der Nachholbedarf führt u. a. dazu, dass die Zugfrequenz nicht in der gewünschten Dichte erfolgen kann und viele Züge nicht zuletzt deshalb überfüllt sind. Die MTA erklärte die Modernisierung der Signaltechnik wiederholt zur Top-Priorität, doch fehlendes Geld hat durchgreifende Besserung bisher verhindert. »Zwei Jahrzehnte, nachdem die Behörde ihre signaltechnische Offensive einläutete«, so die »Times«, »sind die Arbeiten an gerade mal einer Linie fertig«. Bei diesem Tempo werde es bis Fertigstellung aller 22 Linien ein weiteres halbes Jahrhundert dauern und allein auf diesem Gebiet Kosten von 20 Milliarden Dollar verursachen.

Das Signalsystem ist das verborgene, lebenswichtige Rückgrat der Subway. Es regelt die Zugbewegungen auf den Strecken. Doch da es weithin buchstäblich antiquiert ist, können die Signalanlagen vielfach nicht exakt den jeweiligen Standort der Züge bestimmen. Aus Sicherheitsgründen müssen größere zeitliche Abstände zwischen den Zügen gewählt werden, um Zusammenstöße zu vermeiden. Versagt eine Anlage und es kommt zu Nothalten, »stapeln« die Züge sich rasch und die Fahrgäste schäumen. Mit modernem Management hat das wenig zu tun.

New York blickt auch auf andere Metropolen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, allen voran London. Die »Tube« ist kleiner als das New Yorker Netz, aber noch älter und kann ihr eigenes Lied von den Schwierigkeiten singen, ein altes System auf neuen Stand zu bringen. Dennoch ist London hier global ein Pionier: Bislang vier ihrer zehn Hauptlinien wurden mit computerisierter Signaltechnik ausgerüstet, die Arbeit an vier weiteren Linien läuft. Davon kann New York vorerst bloß träumen - nur eine der 22 Gesamtlinien besitzt signaltechnisch den letzten Schrei. Ihn auszustoßen hat zehn Jahre gedauert …

Die MTA hat in ihrem letzten, auf fünf Jahre fixierten Planansatz 3,2 Milliarden Dollar zur Verbesserung des Signal- und Kommunikationssystems für unerlässlich erachtet. Ob sie zur Verfügung stehen werden, ist ungewiss, nachdem die Verantwortlichen des Bundesstaates New York bereits voriges Jahr 400 Millionen Dollar von der damals geforderten Summe wieder gestrichen hatten.

New Yorks Subway und ihr Modernisierungsstau fügt sich in das gesamtamerikanische Bild vernachlässigter bzw. verschlissener Infrastruktur, so dass Präsident Trumps Fanfarenstöße im Wahlkampf, »Amerikas Infrastruktur ins 21. Jahrhundert« zu katapultieren, offene Ohren fanden. Geschehen ist noch nichts Zählbares. Der Zahn der Zeit aber nagt weiter und verschlechtert den Zustand von Deichen, Dämmen, Straßen, Flughäfen, Stromleitungen, Brücken, Eisenbahn, Müllentsorgung und U-Bahn. Die Schäden und Herausforderungen in den Bereichen haben ein Ausmaß angenommen, dass das »Time«-Magazin von der Notwendigkeit sprach, »die Fundamente unserer Nation neu zu errichten«. Beispiel Straßenbrücken: Drei von vier in den USA seien vor mehr als einem halben Jahrhundert gebaut worden. »Sie sind weder für das heutige Verkehrsaufkommen noch für heutige Lasten ausgelegt, mit dem Ergebnis, dass viele unbenutzbar oder auf bestem Wege dazu sind.«

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