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Der »bittere Erfolg« der Linkspartei

Für den Landtag in NRW reicht es nicht - trotz Verdoppelung der Zweitstimmen und Zuwachs in den Städten / Kritik vor allem an der SPD: »komplett verzockt«

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 7 Min.

Es war etwa halb acht am Sonntagabend, da brandete bei der CDU in Nordrhein-Westfalen noch einmal »Riesenjubel« auf, wie es aus der Wahlparty der Union hieß - die Linkspartei war gerade bei der Hochrechnung auf 4,9 Prozent abgerutscht. Es war der Moment, an dem die Nacht von Nordrhein-Westfalen für die Linken zu einer werden sollte, an deren Ende ein »bitterer Erfolg« steht, wie Horst Kahrs von der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Thüringer Linkenpolitiker Benjamin-Immanuel Hoff im Morgengrauen notierten.

4,9 Prozent - das ist zwar fast eine Verdoppelung des prozentualen Ergebnisses und mehr als eine Verdoppelung der Zweitstimmen im Vergleich zur Wahl von 2012. Und es reicht dennoch nicht für die Linkspartei. »Mit grade einmal 8561 Stimmen haben wir den Einzug in den Landtag verfehlt«, meldete sich am frühen Montag die Spitzenkandidatin Özlem Demirel zu Wort - einen Dank an die Wahlkämpfer gab es dazu und die Ankündigung, »auch in den kommenden fünf Jahren eine starke außerparlamentarische Opposition« zu sein.

Letzteres hatte nach der Absage der SPD, eine Koalition mit der Linkspartei überhaupt in Erwägung zu ziehen, praktisch schon festgestanden. Und so richtete sich der Blick der Linkspartei bereits am Sonntagabend vor allem auf die Sozialdemokraten. Parteichef Bernd Riexinger forderte die SPD zu einem Kurswechsel gegenüber seiner Partei auf. Der abgewählten Regierungschefin Hannelore Kraft habe es »nix gebracht, sich so extrem von den Linken abzugrenzen«. Man bekomme keine Glaubwürdigkeit, wenn man meine, »mit der FDP soziale Gerechtigkeit machen zu können«, so Riexinger.

Das Geschäft der Konkurrenz von Mitte-Rechts

Ähnlich äußerten sich andere Linkspolitiker. Fraktionschef Dietmar Bartsch brachte seine Kritik an der SPD mit den Worten zum Ausdruck: »Ausschließeritis ist eine Krankheit, sie kann zum politischen Tod führen. Kraft ist ein erstes Opfer.« Auch der sächsische Landes- und Fraktionschef Rico Gebhardt befand, »Kraft hat sich komplett verzockt« - meinte aber praktisch die ganze erste Riege der Sozialdemokraten. So erinnerte Gebhardt bitter daran, dass eine Woche zuvor »ausgerechnet Wahlverlierer Ralf Stegner« in Schleswig-Holstein damit geprahlt hatte, die Linkspartei aus dem Landtag herausgehalten zu haben. Eine SPD, der dies genüge, »ist alles, aber nicht bereit, ernsthaft ein Land zu gestalten«, findet Gebhardt. Die Sozialdemokraten hätten »am Ende mit ihrem falschen Fokus das Geschäft der Konkurrenz von Mitte-Rechts betrieben«.

Dieser Tenor lag durchaus nahe - war der lange Wahlabend doch auch einer der kommunizierenden Röhren: eine mögliche Niederlage der Linkspartei bedeutete auch eine mögliche Mehrheit für CDU und FDP. Und die gibt es nun, wenn auch knapp und auch wenn sich die Liberalen sichtlich damit schwertun, dass sie nun womöglich regieren müssen – der Plan war mit Blick auf die Bundestagswahl wohl ein anderer. Der linke Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich bilanzierte sarkastisch: »Darauf zu setzen, dass die Linke nicht in Landtage gewählt wird, war eine geniale Strategie der SPD. Für die CDU.« Auch der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat rechnete schon vor dem Eintreffen des vorläufigen Endergebnisses die Folgen vor: »Kommt die Linke nicht rein, gibt’s Schwarz-Gelb«. Dies heiße »möglicherweise Studiengebühren«.

Ein Rechtsruck an Rhein und Ruhr

Noch ein anderer Fokus aber wurde in der Linkspartei deutlich - eine Gesamtbetrachtung des Ausgangs der Abstimmung in NRW. Der sachsen-anhaltische Linkenpolitiker Wulf Gallert sagte, das sei »ein klarer Rechtsrutsch«. Über die Ursachen »müssen wir reden«. Auch der Berliner Staatssekretär Alexander Fischer warnte schon in das Zittern der Linkspartei hinein, es gebe für die gesellschaftliche Linke nichts zu lachen. Die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak zog sogar noch einen weiter gefassten Bogen: Bei den jüngsten drei Landtagswahlen sei stets das Lager »konservativ-rechts im Plus« gewesen oder es habe »konservativ-rechts-liberal« zugelegt. Die sei »kein Grund zum Feiern für Parteien links der Mitte.«

In der Tat kann man das Ergebnis an Rhein und Ruhr auch als deutliche Rechtsverschiebung ansehen, und das in Zeiten, in denen es zur Strategie der Linkspartei gehört, eine rot-rotgrüne Option als Durchsetzungsperspektive für die eigenen Forderungen hochzuhalten. Bereits in der Nacht kursierten in Sozialen Netzwerken Rechnungen, die den Zuwachs der Parteien des konservativen und rechten Lagers zusammenzählten - ein Plus von fast 23 Prozent für CDU, FDP und AfD. Der Parteienexperte Kahrs zieht von hier die Linie bereits zu den Bundestagswahlen im Herbst: Dass ein rot-rot-grünes Bündnis in NRW »deutlich eine Mehrheit« verfehlte, bestätige auch die »Ansicht, dass es im Bundestag nur eine eher zufällige rechnerische Mehrheit links von der Union gibt«, die aber derzeit »nicht durch politische Zustimmung in der Gesellschaft gedeckt ist«.

Kein Koalitionswahlkampf im Herbst

Die Reaktionen der Linkspartei am Wahlabend preisten dies bereits ein. »Wir für unseren Teil werden jedenfalls keinen Koalitionswahlkampf machen«, betonte etwa Sachsen-Chef Gebhardt. Der Bundesvorsitzende Riexinger erklärte, seine Partei werde im Bundestagswahlkampf nun »verstärkt auf unsere eigenen Konzepte schauen und unsere eigenen Konzepte in den Vordergrund bringen und für unsere Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit, für höhere Renten, höhere Löhne, gegen prekäre Arbeit und für eine gerechte Steuerpolitik werben«.

Auch Kahrs und Hoff sprachen von einer »guten Vorlage für die Bundestagswahl«. Die Ko-Vorsitzende Katja Kipping ließ es sich ebenso wenig nehmen, das Abschneiden in NRW als Erfolg zu bezeichnen: »Wir haben unser Ergebnis verdoppelt. Das gibt uns Schwung für den Bundestagswahlkampf.« Woher genau dieser Schwung kommt, steht nun noch näheren Analysen anheim. Die ersten Zahlen über die Ergebnisse in bestimmten sozialen Gruppen waren teils widersprüchlich.

Stärker in Städten, stärker bei Jüngeren

Die Forschungsgruppe Wahlen bilanzierte zum Beispiel ein starkes Ergebnis von 10 Prozent unter Arbeitern für die Linkspartei, bei Infratest waren es in dieser Gruppe nur 7 Prozent, dafür bei den Erwerbslosen 10 Prozent. Unterschiedliche Angaben gab es auch dazu, ob die Linkspartei unter Menschen mit höherer Bildung oder mit niedrigeren Abschlüssen besser abgeschnitten hat. Bei den Erstwählern erreichte sie laut Infratest 8 Prozent, bei den 18- bis 24-Jährigen immerhin noch 7 Prozent.

Die Verdoppelung ihrer Zweitstimmen verdankt die Linkspartei in NRW vor allem einem Zustrom von SPD und Grünen - also von den bisherigen Regierungsparteien, von denen laut Infratest jeweils 60.000 neue Wähler kamen. Aus dem Lager der bisherigen Nichtwähler und von »anderen Parteien«, darunter die Piraten, wanderten jeweils 40.000 zur Linkspartei, etwa 10.000 Wähler verlor diese an die Rechtsaußen-Partei AfD, und damit im Vergleich zu den anderen Parteien gemeinsam mit den Grünen am wenigsten.

Ein Trend bei den jüngeren Ergebnissen der Linkspartei bestätigte sich auch am Sonntag: in urbanen Gegenden schneidet sie besser ab als im Durchschnitt. Das dürfte unter anderem daran liegen, dass dort gerade im Westen die Parteistrukturen besser aufgebaut sind. In Köln, Bielefeld, Dortmund, Wuppertal, Bochum, Düsseldorf erreichte die Linkspartei Ergebnisse zwischen 7 und 12 Prozent - die städtische Verankerung ist damit deutlich gewachsen, bei den Wahlen 2012 war das beste Ergebnis im Wahlkreis Bielefeld I mit 5,6 Prozent erreicht worden. Kahrs und Hoff weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in den Wahlkreisen mit überdurchschnittlichen Ergebnissen der Linkspartei »mit wenigen Ausnahmen die AfD nur unterdurchschnittliche Ergebnisse« erzielt hat.

»Das bitterste aller möglichen Ergebnisse«

Unter dem Strich bleibt es beim »bitteren Erfolg« für die Linkspartei an Rhein und Ruhr: An Prozenten zugelegt, aber am Ende zählt das nicht, so sehr man die einzelnen Zahlen nun auch ausdeutet. »4,9 Prozent ist das bitterste aller möglichen Ergebnisse«, brachte es am Montagmorgen die Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert auf den Punkt. Und Kahrs und Hoff stellten der LINKEN schon einmal eine aus dem NRW-Abschneiden resultierende Hausaufgabe: »Mittelfristig wird die Partei sich mit der Frage beschäftigen und sie plausibel beantworten müssen, warum sie bei einer so großen Bewegung von früheren Wählerinnen und Wählern der Parteien links von der Union, von Grünen, SPD und Piratenpartei landesweit in nur so geringem Maße als Alternative in Frage gekommen ist.«

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