Arbeitszeit: Weniger ist mehr
Geld allein macht nicht glücklich. Über den Wunsch nach einer 35-Stunden-Woche
Fremdbestimmte Dienstpläne, nicht planbare Änderungen, Arbeit am Wochenende und am Abend, Überstunden, die dann auch noch verfallen - diese Probleme nennen Beschäftigte in der Metallindustrie, die sich an einer breit angelegten Umfrage der IG Metall zur Zufriedenheit mit den Arbeitszeiten beteiligt haben. Viele haben Schwierigkeiten, Kinder, Pflege und Job unter einen Hut zu kriegen. Die Ergebnisse der Befragung von mehr als 680 000 Beschäftigten sollen nun in den Betrieben diskutiert werden und in konkrete Forderungen für die kommende Tarifrunde münden, die Ende des Jahres beginnen wird. Seit langem bereitet die Gewerkschaft eine Auseinandersetzung zur Gestaltung der Arbeitszeit vor. Die Gewerkschaft beweist damit, dass sie verstanden hat, dass zu einem guten Leben nicht nur ein dickes Konto gehört.
Besonders unzufrieden sind die Beschäftigten im Osten, wo der Anteil der Schichtarbeiter hoch ist, und wo man bis heute drei Stunden länger als im Westen arbeiten muss. Eine spannende Frage der kommenden Tarifrunde ist daher, ob die IG Metall noch einmal versucht, die für Westdeutschland erkämpfte 35-Stunden-Woche auch im Osten durchzusetzen. Im Metallbezirk Berlin, Brandenburg, Sachsen ist man noch vorsichtig, den Mund zu voll zu nehmen. »Zu früh«, »Diskussionen in den Betrieben abwarten«, heißt es hier. Im Jahr 2003 scheiterte die Gewerkschaft nach wochenlangen Streiks mit ihrem Versuch, einheitliche Regelungen in Ost wie West durchzusetzen. (Wobei bei den Überstunden und vereinbarten Abweichungen nach oben beide Landesteile bereits vereint sind.) Die Arbeitszeitbefragung ergibt ein klares Votum, dass die Zeit ist, die Ungleichbehandlung zu beenden: Etwa 80 Prozent der befragten Ost-Metaller finden eine tarifliche Angleichung »wichtig«. Sie sehen nicht ein, warum sie länger arbeiten sollen als die Kollegen im Westen. Nur ob die Beschäftigten dafür auch bereit sind, einen harten Arbeitskampf anzuzetteln? Das ist auch eine Frage der Kraft. Der Organisationsgrad im Osten ist immer noch relativ gering. Abzuwägen ist auch, ob sich so ein großer Konflikt überhaupt lohnt, wenn lediglich 30 Prozent der Betriebe in der Tarifbindung sind (im Westen 60 Prozent). Wollen die Ost-Metaller die Unterstützung der Westkollegen, müssen sie jedenfalls noch einige Überzeugungsarbeit leisten. Die Frage der Angleichung wird in den alten Bundesländern für weit weniger wichtig gehalten, ergab die Befragung. Die starke Industriegewerkschaft wird es sich daher reiflich überlegen, welchen Weg sie in ihrem mitgliederschwächsten Metallbezirk im nächsten Jahr einschlagen wird. Ein Anliegen wird immerhin von allen geteilt, ob Schichtarbeiter oder Entwickler: Die Wunscharbeitszeit liegt bei 35 Stunden. Damit steht die Richtung fest. Weniger ist mehr.
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