Erdogan vollendet seinen Coup

Türkischer Präsident ließ sich von Sonderparteitag zum AKP-Chef wählen

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mag sich vor den jubelnden Delegierten seiner Partei so wie jemand gefühlt haben, der endlich angekommen ist. Dass er sich nach dem umstrittenen Referendum vom 16. April nun auch zum Parteiführer wählen lassen kann, ist nicht irgendein Detail für den mächtigsten Mann der Türkei. Seit Jahren treibt ihn die Sorge um, er könne, weil als Staatspräsident offiziell zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet, den Einfluss auf seine AKP verlieren. Das ist nun vorbei.

Erdogan wird künftig auch die Wahllisten der Partei kontrollieren, die Funktionen des Staats- und Ministerpräsidenten in einer Person vereinen, 6 der 13 Verfassungsrichter nach Gutdünken ernennen, während die übrigen von einem Parlament bestallt werden, in dem seine AKP die Mehrheit hat. Nur selbst als Richter und Staatsanwalt darf er leider nicht fungieren. Doch dafür hat er sich angewöhnt, in wichtigen politischen Prozessen als Nebenkläger aufzutreten. Der Präsident als Nebenkläger - da weiß ein Richter doch wohl, was er zu tun hat.

Aber wohin soll die Reise nun gehen? Von der Tribüne der Arena hängt ein riesiges Spruchband mit der an Erdogan gerichteten Parole: »Du wirst fortschreiten, die Jugend wird Dir folgen.« Wirklich? Eine Umfrage hat ergeben, dass 58 Prozent der Erstwähler bei dem Referendum mit Nein gestimmt haben. Mag auch Erdogan knapp die Hälfte seiner Landsleute hinter sich haben, der Rest ist nicht weniger entschieden gegen ihn.

In Kommentaren zum Referendum war oft zu hören, dass die alte Türkei tot sei. Das ist sie keineswegs, denn sie lebt in leicht veränderter Form im System Erdogan fort.

Der beste Beweis ist der Kongress der AKP in Ankara selbst. Vor 16 Jahren hatte es in Necmettin Erbakans Tugendpartei eine Revolution gegeben. Die Gruppe der »Erneuerer« trat auf und forderte, es solle endlich Schluss sein mit der Ein-Mann-Herrschaft in den türkischen Parteien. Die Erneuerer traten aus der Tugendpartei aus und gründeten die AKP. Nun ist eben diese AKP noch mehr eine Ein-Mann-Partei als selbst Erbakans Tugendpartei. Keiner von den »Erneuerern« darf noch neben Erdogan stehen. Sein treuester Weggefährte, Abdullah Gül, der Erdogan erst den Sitz des Ministerpräsidenten, dann den des Staatspräsidenten vorgewärmt hat, ist erst gar nicht zum Kongress nach Ankara gereist.

Erdogan war angetreten, den Ausnahmezustand in den kurdischen Gebieten zu beenden. Das gelang, doch nun herrscht Ausnahmezustand im ganzen Land. Erdogan wollte die Türkei nach Europa führen. Davon redet niemand mehr.

Erst am Samstag hat Erdogan bei der Eröffnung einer neuen Universität die Militärs dafür kritisiert, dass sie missliebige Akademiker entlassen haben. Er vergaß zu erwähnen, dass seit vergangenen Sommer an türkischen Universitäten 8000 Personen aus politischen Gründen entlassen wurden. Zwei entlassene Dozenten, Nuriye Gülmen und Semih Özakca, sind dagegen im Hungerstreik, seit bereits 75 Tagen!

In den Parolen der AKP ist zwar noch von Demokratie die Rede, doch immer mehr von der »starken Türkei«. Nationales Prestige war stets ein großes Versprechen in der türkischen Politik und Erdogan ist nun derjenige, der es angeblich richten kann.

In Wirklichkeit spielt die Türkei trotz ihrer strategischen Bedeutung in der Weltpolitik weiter eine Nebenrolle. Auch das Versprechen, die Türkei bis 2023 unter die 10 größten Volkswirtschaften zu führen, das Erdogan 2013 gab, erweist sich als unrealistisch.

Noch immer dümpelt die Türkei auf Platz 17 und war schon mal auf Platz 16. Um die Volkswirtschaft Nummer 10, nämlich Kanada, einzuholen, müsste die kanadische Wirtschaft stagnieren und die türkische 7 Jahre in Folge um 10 Prozent wachsen. Ökonomen sagen der Türkei für dieses Jahr jedoch ein Wachstum deutlich unter 3 Prozent voraus.

Schon Atatürk klagte über die Last der Erwartungen, die auf ihm liege. Erdogan könnte es bald genauso gehen. Irgendwann reichen die Jubelfeiern in den ihm hörigen Medien auch für seine Anhänger nicht mehr. Die Jugend wird Veränderung wollen. Die Frage ist nur, ob der Unmut wie die Gezi-Proteste vor vier Jahren aus einem eher liberalen Milieu kommen, wonach es im Moment aussieht, oder ob es länger dauert und eine neue radikalislamische Generation heranwachsen wird, der selbst Erdogan noch zu lasch ist.

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