»Ich wollte der Revolution helfen«
Ein Antifaschist aus Sachsen schloss sich in Nordsyrien der kurdischen Miliz YPG an
Eine Reportage über die erste Gedenkfeier für YPG-Gefallene in Deutschland finden Sie hier.
Es gibt in Deutschland zahlreiche Probleme: Rassismus, der Aufstieg der AfD, eine größere werdende Armut. Warum sind Sie 4000 Kilometer nach Syrien gereist, um dort zu kämpfen?
Die Hauptmotivation meiner Reise war nicht, in Syrien zu kämpfen. Ich wollte der Revolution und den Menschen dort helfen. Sicher gibt es in Deutschland viele Probleme. Als Internationalist sehe ich mich aber nicht an einen lokalen Kampf gebunden. Lösungen und Konzepte für gesellschaftliche Missstände können überall erarbeitet werden.
Tim Schweizer (Name geändert) ist Mitte 20 und kommt aus Sachsen. Seit vielen Jahren engagiert er sich als Antifaschist. Insgesamt verbrachte Schweizer ein halbes Jahr in Syrien, seit wenigen Monaten ist er wieder zurück in Deutschland. Er hatte vor seinem Einsatz noch nie in seinem Leben eine Waffe bedient. Mit dem Freiwilligen sprach Sebastian Bähr.
Können Sie Ihre politische Motivation genauer erklären?
Ich engagiere mich seit einigen Jahren auf internationaler Ebene. Die Möglichkeit, sich die Revolution in Rojava genauer anzuschauen, war eine starke Motivation. Wir sind hier in eine westliche, kapitalistische und patriarchalische Gesellschaft geboren und dadurch geprägt worden. Dort gibt es die Möglichkeit, Teil einer anderen Gesellschaft zu sein, diese mit aufzubauen und zu gestalten. Wie oft bietet sich so eine Gelegenheit im Leben?
Spielte eine fehlende linksradikale Perspektive in Deutschland eine Rolle?
Teilweise. Natürlich kann man auch hier erfolgreiche politische Arbeit leisten und Dinge verändern. Allerdings steht ein Großteil der radikalen Linken in Europa sich selbst im Weg und ist handlungsunfähig.
Wie sind Sie nach Syrien gekommen?
Ich bin nach Irak-Kurdistan gereist und habe von da aus zu Fuß illegal die Grenze zu Syrien überquert. Es war ein mehrstündiger Marsch in der Hitze mit viel Gepäck.
Gibt es eine Vorauswahl der Kämpfer durch die YPG?
Es werden mehrere Fragen gestellt, die man im Vorfeld beantworten muss. Wonach dann ausgewählt wird, kann ich nicht sagen.
Was sind die Hintergründe der Anti-IS-Kämpfer?
Zu der Gruppe »YPG-International« zu der ich gehörte, kommen überwiegend männliche Soldaten und Aktivisten. Hauptsächlich aus den USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Es ist aber fast jede Nationalität vertreten.
Gibt es schwarze Schafe unter den Freiwilligen?
Ja, es verwundert sicher keinen, dass auch solche Menschen den Weg in den Krieg suchen. Ich selbst habe aber nicht mitbekommen, dass diese Leute gekämpft haben.
Von Spanien bis Chiapas: Sehen Sie sich in einer Linie mit Internationalisten aus vergangenen Zeiten?
Eher weniger. Es gibt natürlich viele Parallelen zu damaligen Kämpfen, aus denen wir lernen können und sollten. Die Freunde in Rojava diskutieren viel über revolutionäre Prozesse in anderen Regionen. Ansonsten ist der mittlere Osten ein eigenes Kapitel, mit dem es sich zu beschäftigen lohnt.
Viele der alten Internationalisten waren später enttäuscht, dass sich ihre Hoffnungen nicht erfüllt hatten. Denken Sie über diese Gefahr nach?
Die Gefahr einer negativen Entwicklung besteht bei allen gesellschaftlichen Revolutionen. Auf die Grundpfeiler kommt es jedoch an und da wurden in Rojava enorme Schritte unternommen. Es ist viel, was dort in den letzten Jahres geleistet wurde und viel, was noch zu erledigen ist.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen YPG und ausländischen Freiwilligen?
Als Freiwilliger ist man normales Mitglied einer Einheit und wird in das Leben dieser integriert. Sprachprobleme und Kulturunterschiede können allerdings zur Abgrenzung führen. Es kommt viel auf einen selber an, wie sehr man sich einbringt und bemüht.
In welchen Operationen waren Sie eingesetzt?
Ich war an der Front von Rakka im Kanton Kobane auf Operation. Wir hatten uns über Wochen auf die Stadt Tabka zubewegt und teile des Euphrat-Stausees und Staudammes befreit. Aktuell haben die Freunde vor Ort den See überquert, die Stadt eingekreist und fast komplett befreit.
Wie verliefen die Kampfhandlungen?
Die Streitkräfte der Koalition sind allgegenwärtig an der Front. Sie unterstützen die Kämpfer der SDF in der Rakka Operation mit Luftschlägen, Artillerie und Aufklärung. In den konkreten Kampfhandlungen sind die Kämpfer der SDF aber überwiegend auf sich alleine gestellt. Spezialeinheiten kämpfen nicht an vorderster Front gegen Daesh.
Haben Sie miterlebt, wie Kampfgefährten gestorben sind?
Ich war nicht unmittelbar dabei, aber es gab immer wieder Tote. Auch Freunde sind gestorben oder wurden schwer verwundet. Meine Einheit hatte aber nur wenige Verletzte.
Kannten Sie verstorbene Internationalisten?
Ich kannte alle verstorbenen Internationalisten der letzten Monate. Die meisten sehr gut, einen vom Sehen. Ihre Verluste waren für mich schwere Momente. Man denkt dann kurz: »Das hättest auch du sein können.«
War Ihnen bewusst, dass Sie für diesen Konflikt hätten sterben können?
Darüber denkt man nach. Aber die Selbstverteidigung Rojava's und der Kampf gegen Daesh ist eine Notwendigkeit. Und im Krieg sterben nun einmal Menschen.
Zwei der Gefallenen aus Deutschland waren erst 19 und 21 Jahre alt. Glauben Sie, diese Freiwilligen hatten über Ihre Rolle vor Ort ausreichend nachgedacht?
Die Frage stellt sich natürlich. Ich finde aber nicht, dass das Alter dabei eine Rolle spielt. Es ist natürlich immer traurig, wenn ein sehr junger Mensch stirbt. Trotzdem glaube ich, dass die Gefallenen sich ihrer Sache sicher gewesen sind. Nur weil sie jung waren, sollte man nicht an ihrer Überzeugung zweifeln.
Wie verlief Ihr militärischer Alltag?
Es wird sehr früh aufgestanden, meist noch vor Sonnenaufgang. Oft gibt es Sport, dann wird zusammen gegessen. Danach kommt es sehr darauf an, wo die Einheit stationiert ist. Befindet man sich nicht an der Front auf Operation, kann der Alltag manchmal sehr langweilig sein. Ablenkung gibt es oft wenig, es kommt sehr darauf an, was man selbst aus der Situation macht. Gegessen, geputzt und gekocht wird im Kollektiv. Auch die Wachschichten werden so organisiert. Abends macht man Feuer für Essen und Tee. Oft wird gesungen oder getanzt.
Es gibt Vorwürfe, dass die YPG Araber vertreibt, Kindersoldaten einsetzt, Gefangene misshandelt und die Opposition unterdrückt. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Ich empfand die Lage nicht als besonders schlimm. Einige dieser Sachen passieren leider hin und wieder, sind aber definitiv nicht systematisch. Es gibt auch immer die Möglichkeit einen Vorfall zu melden und prüfen zu lassen. Das kann jeder tun und dabei auch zum Beispiel den eigenen Kommandeur übergehen. Es gibt wenige Menschen unter 18 Jahren in den Einheiten, auch in meiner. Sie fahren nicht mit auf die Operationen. Meist haben diese Kinder keine Familien mehr, die Freunde in der Einheit sind ihre Familie.
Viele Kämpfer begründen ihr Dasein mit einer fortschrittlichen, gar revolutionären Politik in Rojava. Können Sie diese bestätigen?
Das Meiste was ich diesbezüglich weiß, stammt aus Erzählungen und Texten. Nur Weniges konnte ich selbst beobachten. Ich kann mir nur ein Bild über das Militär machen. Als sehr positiv habe ich das kollektive und hierarchiefreie Leben in meiner Einheit empfunden. Was am Anfang sehr verwunderlich war, weil es eine klare Rangordnung in der Einheit gibt. Erst an der Front und in den Operationen bekam man das wirklich mit.
Haben Sie Erfahrungen mit der Zivilgesellschaft gesammelt?
Kaum. Militär und Zivilgesellschaft sind getrennt voneinander. In den Städten und Kantonen gibt es die Asayish, eine Art Polizei, und selbstorganisierende Jugendliche, die die Menschen beschützen. Die YPG/YPJ ist oft in verlassenen Dörfern stationiert. Die Städte sieht man nur, wenn man in ein Krankenhaus muss oder etwas einkauft. Ich selbst war nur sehr selten in einer Stadt.
Mit deutschen Waffen wurden laut Medienberichten jüngst von irakischen Peschmerga Jesiden umgebracht. Die Türkei benutzt deutsche Waffen und Panzer. Wie schätzen Sie die deutsche Rolle im Konflikt ein?
Deutschland ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Waffenlieferant für die Türkei. Das hat Lösungen in der Kurdenfrage immer wieder erschwert. Andererseits beteiligt sich das Land an der Anti-IS-Koalition mit Aufklärungsflügen. Deutschland spielt eine wichtige, aber keine entscheidende Rolle im Konflikt mit Daesh.
Antiimperialisten in Deutschland kritisieren, dass die YPG mit US-Amerikanern zusammenarbeitet. Können Sie diese Kritik verstehen?
Auch ich bin kein Freund amerikanischer Außenpolitik. Man muss das aber aus einer größeren Perspektive betrachten. Ohne die Luftunterstützung hätte die YPG/YPJ sehr schlechte Karten gegen die überlegene Armee von Daesh.
In Deutschland wurden einigen Rückkehren die Pässe entzogen, die deutsche Regierung hat Symbole der YPG teilweise verboten. Rechnen Sie mit einer behördlichen Verfolgung?
Die YPG/YPJ ist der wichtigste Partner der Anti-IS-Koalition in Syrien und gilt in Europa nicht als verbotene Organisation. Mit einer ernsten strafrechtlichen Verfolgung rechne ich deshalb nicht. Allerdings mit Anquatschversuchen seitens Behörden und Geheimdiensten sowie Passentzug.
Wie ist es Ihnen nach Ihrer Rückkehr ergangen?
Man muss sich nach der Rückkehr umstellen. Ich erlebte eine Art Kulturschock, da ich so lange anders gelebt hatte. Nach wenigen Wochen stellte sich das aber ab. Freunde und Familie sind wichtig in dieser Zeit.
Können Sie Ihre in Rojava gesammelten Erfahrungen in Deutschland nutzen?
Das von Abdullah Öcalan entworfene Modell des demokratischen Kornföderalismus bietet eine Perspektive für den mittleren Osten. Es schafft dort eine Chance auf anhaltenden Frieden und das Ende verschiedener Konflikte zwischen Ethnien und Religionen. Was wir hier davon nutzen können, gilt es herauszufinden. Ein Aspekt wäre der starke Kollektivgeist, der in Rojava zu sehen war. Es war eine wunderbare Erfahrung, in einem solchen Miteinander leben zu können.
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