98 Millionen Zuschauer im Jahr

25 Jahre Arte. Ein Besuch in Strasbourg beim deutsch-französischen Nischenkanal

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Kultur und Politik, das galt lange als ähnlich vereinbar wie einst Deutschland und Frankreich, also gar nicht. Nun pflegen Kultur und Politik zwar nicht die Rivalität der früheren Erbfeinde. Doch falls es darauf ankommt, stehen sie sich bis heute oft unversöhnlich gegenüber. Hedonistischer Kostenfaktor versus bürokratischer Pragmatismus - fragen Sie mal den Finanzminister! Dann aber blickt man von der kühnen Arte-Zentrale zum kühneren EU-Parlament am anderen Ufer der Ill und spürt: Wenn sich Kultur und Politik räumlich, architektonisch, atmosphärisch so nah sind wie in Strasbourg, erscheint selbst das Unvereinbare als organische Einheit. Man braucht halt nur den nötigen Klebstoff.

Marco Nassivera hätte da einen: »Peps«. Der Nachrichtenchef des polyglotten Kulturkanals lacht laut, als er den Begriff mit »Erotik der Vernunft« übersetzt. Im Streben, die Welt da draußen für Feuilleton-Fans verständlich zu machen, stamme der erste, saftige Teil der Senderphilosophie von den französischen Mitarbeitern des Senders, während der zweite, sachliche von den deutschen komme. Gut, das seien Klischees, räumt Nassiveras Bonner Kollegin Carolin Ollivier ein. »Aber dieses Hybridhafte«, erklärt die Leiterin des abendlichen Arte-Journals, »ist überall zu spüren. Es sorgt zugleich für Distanz und Nähe.«

Und zwar seit 25 Jahren. Am 30. Mai 1992 ging der deutsch-französische Kulturkanal auf Initiative von Stuttgarts Landesvater Lothar Späth erstmals auf Sendung. Es wurde ein Meilenstein des Fernsehens im Gedanken an Frieden, Toleranz, Völkerfreundschaft. Wenngleich ein kleiner. Denn so sehr Arte im kulturaffinen Frankreich von Beginn an geschätzt wurde, so unsichtbar blieb der Sender östlich des Elsass. In Deutschland nämlich ist dieses binationale Projekt, das Kooperationen mit der halben EU hat und online die ganze Welt erreicht, bis heute ein Nischenprodukt.

Kein Problem, meint Bernd Mütter der durchschnittlichen Einschaltquote von einem Prozent zum Trotz: »2016 haben uns 98 Millionen Leute mindestens einmal 15 Minuten gesehen«, also mehr als die Partner ZDF oder France 1. Schwer zu sagen, ob es Galgenhumor oder Zweckoptimismus ist, wenn der Programmvize - die EU-Institutionen im Blick - »Wir sind der größte Sender Europas« durch die Arte-Zentrale ruft. Arte denkt halt globaler als all die Marktführer ringsum.

Ob Homepage oder Mediathek, Youtube-Kanal oder Virtual Reality: Technisch ist Arte den Platzhirschen schließlich stets ein Stück voraus. Inhaltlich umgehen Serien, Dokus, Filme gern die ausgetretenen Pfade des Mainstreams. Und vom Aufwand her kann Nassiveras Nachrichtenressort mit 60 Redakteuren zwar keiner ARD-Tagesschau und keinem ZDF-heute das Wasser reichen; doch da, wo deren Mitteilungsbedürfnis aus Platz- und Zeitgründen endet, blüht Arte erst richtig auf: mit Hintergrund, Analyse, Vertiefung zur besten Sendezeit.

Als der Sender vor vier Jahren sein erstes Dokumentarfilmfestival organisiert hat, lobte der Filmemacher Marcus Vetter den Veranstalter als »Fels in der Brandung« einer Branche, die alles ohne Sport, Quiz, Gefühlsduselei in die Nacht verschiebt. Wenn überhaupt noch derlei »Quotenkiller« gesendet werden. Gut, auch Arte verpasst Sachfilmen schon mal einen Sound wie im Werbeclip. Und als wäre man bei RTL, wurden für ein Sendeformat dicke Kinder beim Abnehmen begleitet. Doch andererseits besucht Arte auch abseitige Großstadtwinkel und Naturreservate für Dokus, die es sonst nur noch in Spartensendern wie ZDFinfo oder 3Sat gibt.

Aber es sind ja auch andere Werte, die 25 Jahre nach der Gründung noch genauso viel zählen wie am Tag des Jubiläums; einem Tag übrigens, den Arte fast schon aufreizend ignoriert. Hingabe, Wissbegier, vor allem aber: Journalismus. »Wir sind ein produktives, kein konsumtives Programm«, sagt Geschäftsführer Wolfgang Bergmann. Wenn sein Arbeitgeber am heutigen Dienstag im kleinen Kreis Geburtstag feiert, zeigt er daher eine Doku über Trump-Wähler und später eine über Intersexuelle. Es gibt Sachliches über die Neue Rechte, Senioren-WGs oder Vatikangeschäfte.

Und was macht die ARD zur besten Sendezeit? Zeigt »Um Himmels Willen«.

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