Aufschub für die FARC-Guerilla
In Kolumbien hängt der Zeitplan zur Waffenübergabe der Rebellen an die UN zurück
Es war der wohl letzte Geburtstag unter Waffen. 53 Jahre war es am vergangenen Wochenende her, dass die damalige Regierung mit einer Militäroperation gegen die kommunistische Bauernenklave in dem Weiler Marquetalia vorging, aus deren kleinem Widerstandskern die größte Guerilla Lateinamerikas wurde. Die FARC-Rebellen feierten das mit Kultur und Tanz in den 26 Übergangszonen. Dort haben sich seit Jahresbeginn die verbliebenen rund 7000 Kämpfer hinbegeben, um ihre Waffen an die Sondermission der Vereinten Nationen (UN) zu übergeben und damit ihren bewaffneten Kampf zu beenden.
Bislang haben die UN nur rund 1000 Waffen entgegengenommen. Ein Großteil, darunter auch schwere Waffen, Granaten und Munition, liegen bislang allerdings noch in geschätzt 900 Verstecken im Dschungel, zu denen die Kämpfer die UN-Mitarbeiter erst führen müssen. Ein zeitintensives Unterfangen, weshalb alle drei Parteien - FARC, Regierung und UNO - sich am späten Montagabend (Ortszeit) auf einen neuen Zeitplan für die Endphase der Demobilisierung einigten. Darin verpflichten sich die FARC, bis zum 20. Juni ihre Waffen an die UN zu übergeben und die Standorte aller Waffenlager zu melden. Bis dahin soll auch die juristische Situation der Rebellenmitglieder, für die eine Amnestie gilt, geklärt sein. Bis Anfang August sollen Maßnahmen zur Wiedereingliederung der Guerilleros im Mittelpunkt stehen.
Die Regierung sagte ihrerseits zu, den Kampf gegen »kriminelle Banden«, wie die Paramilitärs im offiziellen Sprachgebrauch heißen, aufzunehmen. Präsident Juan Manuel Santos sagte in einer Fernsehansprache, dass der neue Zeitplan »in keinster Weise die unumstößliche Entscheidung und die eindeutige Verpflichtung berührt, die Vereinbarung zu erfüllen.«
Die Reform des Zeitplans war allgemein erwartet worden. Grund für dessen Verzögerung ist nicht nur, dass die Guerilla mehr Waffen in Besitz hatte, als sie selbst annahm. Die Waffenübergabe hatte sich auch deshalb verzögert, weil die Übergangszonen nicht rechtzeitig fertiggestellt worden waren und es bei der gesetzlichen Umsetzung der Friedensvereinbarungen, insbesondere der Anwendung des Amnestiegesetzes und der Begnadigung inhaftierter Kämpfer hakte.
Dass es auch in Zukunft zu erheblichen Verzögerungen bei der Verabschiedung der Friedensgesetze kommen könnte, bereitet insbesondere der FARC-Guerilla größere Sorgen als die Verlängerung der Demobilisierungsphase. Das Oberste Verfassungsgericht urteilte vor Kurzem, dass einige Teile des gesonderten Schnellverfahrens, dem »fast-track«, mit dem der Kongress entsprechende Gesetze der Friedensvereinbarungen von Havanna »en bloc« und ohne dem Vereinbarten zuwiderlaufende Veränderungen durch die Parlamentarier verabschieden kann, nicht mit der Magna Charta vereinbar seien. Zwar haben einige wichtige Gesetze bereits den Kongress auf diese Weise passiert und können nicht rückgängig gemacht werden, noch aber müssen eine ganze Reihe von teils umstrittenen aber zentralen Projekten wie Aspekte der Sondergesetzgebung und der Landverteilung verabschiedet werden.
Bereits in den Wochen zuvor hatte das mehrheitlich mit konservativen Verfassungshütern besetzte Organ einzelne Aspekte der Friedensgesetze oder präsidialer Dekrete für nicht verfassungskonform erklärt.
Das hat bei der FARC-Guerilla die Alarmglocken schrillen lassen. FARC-Sprecher Iván Márquez bezeichnete das Urteil als »ernste Gefahr für den Frieden« und erinnerte daran, dass die Friedensvereinbarung völkerrechtlich geschützt sei. Er rief Präsident Santos dazu auf, sich auf sein in der Verfassung verankertes Recht zu berufen, für Frieden zu sorgen. Eine indirekte Aufforderung, den Kongress notfalls zu umgehen.
Noch sind die Folgen des Urteils nicht absehbar. Während die Regierung um Präsident Santos auf die Geschlossenheit der Kongressmehrheit setzt, die den Friedensprozess unterstützt, brachten auch zahlreiche Politiker und Beobachter ihre Besorgnis zum Ausdruck. »Das Fundament jeder Verhandlungslösung eines bewaffneten Konflikts ist, dass die vereinbarten sozialen, rechtlichen und politischen Veränderungen ohne zusätzliche Verhandlungen und Verrat von beiden Seiten in die Praxis umgesetzt werden«, sagte der linke Kongressabgeordnete Iván Cepeda. Das Urteil, das auf eine Klage der rechten Opposition zurückgeht, könne »eine gefährliche Tendenz öffnen, um wesentliche Aspekte der endgültigen Vereinbarung zu relativieren.« Der ehemalige Verhandlungsführer der Regierung und möglicher Präsidentschaftskandidat des Regierungslagers für die Wahlen 2018, Humberto de la Calle, befürchtet gar eine »Veränderungslawine«. Die Verabschiedung der Gesetze könnte sich erheblich in die Länge ziehen, insbesondere weil allmählich die Wahlkampfphase für die Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2018 beginnt und die Vereinbarungen zum Spielball politischer Interessen werden könnten.
Als Feuerprobe, ob das Urteil des Verfassungsgerichts Einfluss auf die Friedensgesetzgebung hat, gilt die dieser Tage anstehende Verabschiedung eines Gesetzes zu bei der Opposition umstrittenen Sonderwahlzonen in peripheren Regionen, mittels derer zusätzliche Sitze im Repräsentantenhaus geschaffen werden.
In den vergangenen Tagen hatte Santos die letzten Stunden seiner präsidialen Sondervollmachten bereits dazu genutzt, weitere Dekrete zu erlassen, mittels derer in Havanna Vereinbartes ohne Zustimmung und Debatten des Parlaments zu Gesetzen werden können. Darunter fielen vor allem Infrastrukturprojekte in abgelegenen Regionen und die Schaffung von Mechanismen zur Formalisierung und Verteilung von Landbesitz an Kleinbauern. »Wir werden den Staat dort aufbauen und stärken, wo er bislang nie angekommen ist. Endlich werden wir abgelegene Zonen mit enormem Produktions-, Forstwirtschafts- und Umweltpotenzial mit den regionalen, nationalen und internationalen Märkten verbinden«, sagte der Präsident. Manche Kleinbauern und Indigene werden das mit Sorge vernehmen. Bisher bedeutete Expansion in Kolumbien Landraub.
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