»An der Lebensrealität vorbei«
Thüringen: Nur 30 Prozent der berechtigten Familien nutzen das Bildungs- und Teilhabepaket
Sieben Jahre nach Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder aus einkommensschwachen Familien haben Kommunen und Verbände Nachbesserungen vom Bund gefordert. Das vom Bund beschlossene Paket habe die wesentlichen Ziele verfehlt, sagte Hartmut Kaczmarek vom Sozialverband Paritätische BuntStiftung Thüringen. Die Höhe der Leistungen sei unzureichend. Die komplizierten Verwaltungsregeln benachteiligten jene Kinder, die eigentlich davon profitieren sollten. Das sieht auch Thüringens Sozialministerium so: Die Angebote reichten hinten und vorne nicht, hieß es in der jüngsten Regierungserklärung von Ministerin Heike Werner (LINKE).
Dabei nimmt die Nachfrage nach den Leistungen nach Angaben des Ministeriums stetig zu: Wurden 2011 über das Paket noch rund 10,3 Millionen Euro ausgegeben, waren es 2016 rund 14,8 Millionen Euro. Mit Abstand am meisten gefragt waren Zuschüsse zum Mittagsessen in Schulen und Kitas. Rund 7,5 Millionen Euro machte diese Hilfe 2016 aus. Mit 3,3 Millionen Euro lagen Zuschüsse zum Schulbedarf an zweiter Stelle, gefolgt von 2,2 Millionen Euro für Klassenfahrten. Nachhilfe, Mitgliedsbeiträge für Sport- und Kulturvereine sowie Fahrkarten für Schüler lagen deutlich darunter.
Die Leistungen werden aber nur von einem kleinen Teil jener Familien in Anspruch genommen, denen sie eigentlich zustehen: Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nutzten in Thüringen zum Beispiel nur rund 17 000 der 56 000 berechtigten Jugendlichen mit Hartz-IV-Bezug die Zuschüsse.
Obwohl Kommunen und Verbände dieses Instrument grundsätzlich begrüßen, gibt es Kritik. »Der bürokratische Aufwand geht völlig an der Lebensrealität vorbei«, sagte der Landesgeschäftsführer der Paritätischen Buntstiftung, Stefan Werner. »Junge Menschen sind keine kleinen Arbeitslosen. Deshalb muss die Jugendhilfe auch beim Jugendamt und nicht beim Jobcenter angebunden sein.« Auch die Kommunen sehen Raum für Verbesserungen. Zwar würden die Leistungen im Freistaat prinzipiell gut angekommen, heißt es vom Deutschen Landkreistag. Doch auch dieses Gremium kritisiert den hohen Verwaltungsaufwand. So sollte etwa die Beurteilung über einen Zuschuss zur Lernförderung wieder in die Verantwortung der Schulen zurückgegeben werden. Auch die symbolischen Beiträge zur Mittagsverpflegung und zur Schülerbeförderung stünden vom Verwaltungsaufwand her in keinem Verhältnis zum Ertrag, hieß es.
In Erfurt nutze etwa die Hälfte der Anspruchsberechtigen die Beihilfen, sagte ein Stadtsprecher. Vor allem durch den Zuschuss für kulturelle Angebote lernten die Kinder Welten kennen, die ihnen sonst verschlossen blieben. Allerdings gebe es immer noch Eltern, die von den Unterstützungsmöglichkeiten nichts wüssten oder mit den Anträgen überfordert seien.
Schulen, Kitas und Sozialarbeiter leisteten deshalb einen wichtigen Beitrag bei der Information, hieß es aus Erfurt und Jena. Auch Weimar würde sich eine unbürokratischere Umsetzung wünschen. Ein möglicher Schritt sei es, die Leistungen weiter zu pauschalisieren und die Genehmigung zu vereinfachen, sagte eine Stadtsprecherin.
Das Thüringer Sozialministerium wertet das Paket ebenfalls grundsätzlich positiv, teilt aber die Kritik am hohen Verwaltungsaufwand und zu geringer Leistungshöhe. 100 Euro jährlich gibt es beispielsweise für Schulmaterialien, lediglich zehn Euro monatlich für kulturelle oder sportliche Vereine. Sozialministerin Werner fordert deutliche Nachbesserungen durch die Bundesregierung. dpa/nd
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