Erdogans französische Karte

Der Abzug der Bundeswehr aus Incirlik lässt an Ankaras NATO-Bündnistreue zweifeln

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Rein organisatorisch ist die Verlegung der sechs »Tornado«-Jets und des Tankflugzeuges nicht gar so problematisch. Man benötigt nur Zeit. Und die Hilfe der US Air Force. Denn im Gegensatz zu den deutschen A400M-Flugzeugen sind deren C-17-Transporter stets einsatzklar. Da die Umsiedlung aus - wie Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte - »innenpolitischen Gründen« seit langem absehbar war, hatten die Militärs genügend Zeit zu deren Planung.

»Wir sind auf eine Verlegung vorbereitet«, bestätigte Ursula von der Leyen (CDU) am Wochenende, verwies aber darauf, dass man Zehntausend Tonnen bewegen müsse. Das mag etwas hoch gegriffen sein, doch gewiss kommt da einiges auf die Logistiker und die Luftwaffensoldaten zu, was nicht ganz billig sein wird. Das allerdings wäre der geringste Grund für eine politische Beteiligung des Parlaments.

Bereits Mitte Mai war die Verteidigungsministerin nach Jordanien gereist, um sich die Al-Azraq-Airbase anzuschauen. So wie das Bundeswehr-Erkundungsteam hatte sie »einen guten Eindruck« vom künftigen Stationierungsort der deutschen Streitmacht gegen den Islamischen Staat (IS) gewonnen. Beide Seiten bereiteten die Verträge für die Stationierung der deutschen Soldaten in Jordanien vor und wenn das »Go« kommt, kann man die »Status of Forces Agreements« unterzeichnen.

Zunächst wird der Tanker wieder einsatzklar sein, der Umzug des Gefechtsstandes und der Aufklärungs-Auswertetechnik dauert. Doch die Experten meinen, dass die »Tornados« ab Mitte August wieder gegen den IS fliegen können. Was der Linksfraktion im Bundestag ganz und gar nicht passt. Deren Chef Dietmar Bartsch will die Soldaten »nicht nach Jordanien verlegen, sondern zurückholen«. Für ihn hat der Krieg um Syrien »keinerlei positive Aspekte«. Mehrfach hatte er klargemacht, dass man den IS zwar bekämpfen müsse, doch habe der Krieg gegen den Terror zu nicht weniger Terror geführt. Stattdessen müsse man die Finanzströme kappen und die, »die dort tapfer kämpfen«, unterstützen.

Es gibt in Bartschs Partei gewiss nicht wenige, die das Zerwürfnis zwischen den NATO-Staaten Deutschland und Türkei mit einiger Spannung betrachten. Sie treten prinzipiell für einen Ausstieg der Bundesrepublik aus dem nordatlantischen Bündnis ein. Artikel 13 des NATO-Statuts ließe das auch zu. Nach zwanzigjähriger Gültigkeitsdauer des Vertrages, so liest man, »kann jeder vertragschließende Staat aus dem Verhältnis ausscheiden, und zwar ein Jahr nach Erklärung seiner Kündigung gegenüber der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, die den Regierungen der anderen vertragschließenden Staaten die Niederlegung jeder Kündigungserklärung mitteilen wird«.

Niemand nimmt an, dass Deutschland diesen Artikel in absehbarer Zeit in Anspruch nehmen will. Doch wie ist das mit der Türkei? Der Obmann der Union im auswärtigen Bundestagsausschuss, der einstige Bundeswehroberst Roderich Kiesewetter, spürt schon einen »schleichenden Ausstieg der Türkei aus der NATO«. Er meint, dass sich »unser Sicherheitsgefühl« in wenigen Jahren »komplett ändern« werde. Darauf, so sagte er der »Schwäbischen Zeitung«, müssten wir uns »durch verstärkte europäische Anstrengungen schon heute vorbereiten«. Aus seiner Sicht wäre es fatal, wenn das bilaterale Zerwürfnis die Handlungsfähigkeit insgesamt lähmte.

Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass Erdogan seine Erpressungsstrategie gegenüber Verbündeten fortsetzen wird. Schon das aktuell große Interesse an modernsten russischen S-400-Flugabwehrraketen werten viele als Affront. Und das ist nur ein Aspekt der türkischen Wiederannäherung an Russland.

Doch wird Erdogan wirklich einen offenen Bruch mit der NATO riskieren? Kaum. Darauf deutet auch seine Zurückhaltung, wenn es um den NATO-Stützpunkt in Konya geht. Dort ist ein fliegender AWACS-Gefechtsstand stationiert, zu dessen Besatzung auch deutsche Soldaten gehören. Aber der Präsident in Ankara pokert mit der strategisch exponierten Lage »seiner« Türkei an der zunehmend brisanten Südflanke der NATO. Daher ärgert es ihn, dass das Bündnis und insbesondere die USA ihm die Freiheit verwehren, gegen Kurden in Syrien vorzugehen.

Dass die NATO öffentlich kaum Kritik am Mitgliedsstaat Türkei übt, hat seinen Grund vielleicht auch darin, dass es zwischen Bündnistreue und Ausstieg noch eine »französische« Option für Erdogan gibt. Nachdem Frankreichs Selbstbewusstsein Mitte der 60er Jahre ins Unermessliche gestiegen war, weil das Land da über eine eigene funktionsfähige Atombombe verfügte, revanchierte sich Präsident Charles de Gaulle für zahlreiche Demütigungen mit dem Ausstieg des Landes aus allen militärischen Organen der NATO. Erst nach vier Jahrzehnten wurde Frankreich wieder Vollmitglied im Bündnis.

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