Wut bei Volkswagen in Wolfsburg

VW plant drastische Einsparungen und bringt Werksschließungen in die Diskussion. Die IG Metall ist alarmiert

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.
Volkswagen-Beschäftigte stehen mit Fackeln vor dem Werk in Osnabrück.
Volkswagen-Beschäftigte stehen mit Fackeln vor dem Werk in Osnabrück.

Der VW-Belegschaft steht eine harte Auseinandersetzung bevor. Der Vorstand des Autokonzerns hat Pläne zu massiven Sparmaßnahmen bekanntgegeben. Zur Zukunftssicherung sei »ein Beitrag der Beschäftigten erforderlich«, es müssten substanzielle Kostensenkungen erfolgen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, hieß es jüngst vom VW-Verhandlungsführer Arne Meiswinkel. Zuletzt standen auch Werksschließungen und ein umfangreicher Stellenabbau im Raum. Anfang der Woche versammelten die Betriebsräte an allen zehn Standorten des Konzerns fast 60 000 Beschäftigte und informierten sie über die Pläne. »Wir sind Volkswagen – ihr seid es nicht!«, riefen die Mitarbeiter*innen in Richtung des Managements. Die IG-Metall ist alarmiert und kündigte Widerstand an.

Klar ist aktuell nur, dass die Wolfsburger Konzernspitze mit ihrer Strategie in die Sackgasse geraten ist – auch wenn sie die Probleme vor allem in angeblich zu hohen Arbeitskosten verortet. Der Absatz geht jedenfalls merklich zurück, was unter anderem an einer Orientierung auf eher größere und teurere Autos sowie auf Verbrenner liegt. Das Unternehmen hat zudem in den vergangenen Jahren stark in China investiert und produziert. Die Nachfrage nach VW-Verbrennern ist im Land jedoch eingebrochen und bei E-Autos liegen die dortigen Hersteller vorn. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärte gegenüber Medien, VW habe die »Transformation hin zur Elektromobilität verschlafen«. Zugleich hat der Konzern immer noch 147,8 Milliarden Euro Gewinnrücklagen und mehr als 18 Milliarden Euro Nettogewinn für 2023 in seiner Bilanz verzeichnet. Im dritten Quartal dieses Jahres sei der Gewinn um knapp 64 Prozent auf 1,58 Milliarden Euro eingebrochen, hieß es zuletzt.

»Die Krise bei VW könnte eine Chance für mutige Politik sein, endlich eine wirkliche Verkehrswende anzugehen.«

Matthias Schmeltzer

Die Ausgangslage deutet an, dass die Verhandlungen konfliktreich verlaufen werden. Die IG Metall fordert für die Beschäftigten sieben Prozent mehr Lohn und 170 Euro mehr im Monat für die Auszubildenden. Vom Vorstand wird dagegen eine Entgeltsenkung von zehn Prozent gefordert, außerdem sollen Sonderzahlungen entfallen, das Bonussystem verändert und die garantierten Ausbildungsplätze von derzeit 1400 auf 600 reduziert werden. Zuvor waren laut der Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo auch die Schließung von mindestens drei Werken und betriebsbedingte Kündigungen in der Diskussion gewesen.

Allerdings deutete sich in der zweiten Verhandlungsrunde laut IG-Metall an, dass möglicherweise auch »gemeinsam« mit dem Vorstand ein Weg »ohne Fabrikensterben und Massenentlassungen« gesucht werden könnte, also Werksschließungen ausbleiben. »Dieses grundsätzliche, wenn auch schwache Signal ist die Mindestbedingung gewesen, die das Unternehmen erfüllen musste, damit die IG Metall überhaupt noch am Verhandlungstisch bleibt«, sagte Thorsten Gröger, Bezirksleiter und Verhandlungsführer der IG Metall. Die Androhung von Streiks war damit gesetzt. Die Tarifpartner haben nun drei Kommissionen eingesetzt, die sich bis zur nächsten Verhandlung am 21. November mit Einzelbereichen auseinandersetzen sollen. Es sei »allenfalls der Startschuss für einen Marathon gefallen«, betonte Cavallo. Inwiefern die IG Metall im Zuge der Auseinandersetzung auf die Einführung der 4-Tage-Woche setzt, ist derzeit noch unklar.

Ein besonderes Augenmerk liegt jetzt auf der Regierung von Niedersachsen. Das Land hält etwa 20 Prozent der Anteile bei VW und hat bei wichtigen Entscheidungen ein Vetorecht. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) forderte, dass es für die Beschäftigten bis Weihnachten Klarheit geben müsse. Ines Schwerdtner, die Ko-Chefin der Linkspartei, pocht auf ein direktes Eingreifen des Landes. Weil müsse dafür sorgen, dass die 4,5 Milliarden Euro, die vergangenes Jahr als Dividenden an die VW-Eigner ausgezahlt wurden, zurück in den Konzern fließen, ehe bei den Beschäftigten gekürzt werde. Die Summe entspricht etwa den fünf Milliarden Euro, die der Konzern aktuell einsparen will.

Zugleich stellt sich die Frage, ob Niedersachsen seinen Einfluss geltend machen wird, um auf eine andere strategische Ausrichtung des Konzerns hinzuwirken. Wie die IG Metall muss die Regierung entscheiden, ob Standortsicherung das einzige Ziel ist. »Die Krise bei VW könnte eine Chance für mutige Politik sein, endlich eine wirkliche Verkehrswende anzugehen«, sagt Matthias Schmeltzer, Wirtschaftshistoriker und Vertretungsprofessor für sozial-ökologische Transformationsforschung an der Europa-Universität Flensburg. »Statt die Fähigkeiten und Kapazitäten in den Werken abzubauen, um die Profite der Aktionäre und des Porsche-Piëch-Clans zu steigern, braucht es eine Konversion der Produktion.« So könnten die Beschäftigten etwa Züge, Straßenbahnen und kleine Elektroautos bauen.

Ab Mitte 2025 wären theoretisch betriebsbedingte Kündigungen möglich. Die Friedenspflicht läuft bei VW Ende November aus. Bereits im Dezember könnten damit Warnstreiks beginnen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!